Joanna

 

New York Airport, Flug 734 Japan Air von Tokyo nach New York, Ortszeit: 12:43 Uhr.

 

Joanna musste schmunzeln über den dicken, schwitzenden Mann, der mit seinem schlechten Englisch versuchte, dem Zollbeamten am New York Airport klar zu machen, das man ihm die Schlangenlederschuhe in Hongkong als garantierte Imitation verkauft habe. Doch der Zollbeamte ließ sich nicht darauf ein, erklärte geduldig dem Mann nun zum fünften Mal, dass er gegen das Washingtoner Artenschutzabkommen verstoßen habe, die Schuhe einbehalten würden und er mit einer Anzeige zu rechnen habe.

Sie wendete sich um und überreichte dem jungen Zöllner mit einem gewinnenden Lächeln ihren Diplomatenpass. Dieser nahm ihn, rot bis über beide Ohren, entgegen, warf einen kurzen Blick hinein und reichte ihn mit einem verlegenen: "Vielen Dank, Miss Heldt und einen angenehmen Aufenthalt in New York", zurück.

Während Joanna den Pass entgegennahm, berührte sie wie zufällig die Hand des jungen Mannes. Ein aufreizender Blick aus blitzenden, blauen Augen traf die braunen Augen des Zöllners. Mit einer gemurmelten Entschuldigung zog er rasch seine Hand zurück und senkte den Blick.

"Oh, den werde ich gewiss haben", gab Joanna immer noch lächelnd zurück und begab sich zum Gepäckband. Während sie auf ihren Koffer wartete, ließ sie unauffällig ihren Blick schweifen. Sie sah keine verdächtige Person. Gut, man wusste allem Anschein nach noch nicht, dass sie in New York war. Der Zöllner wäre nicht schlecht erstaunt gewesen, hätte er einen Blick in ihr Beautycase geworfen. Auf den ersten Blick enthielt es eigentlich nichts Ungewöhnliches: Deo, Kosmetika und eine größere Anzahl an Parfum-Fläschchen. Doch genau deren Inhalt war außergewöhnlich, ja tödlich. Besonders der in einem geheimnisvollen dunklen Rot irisierende Lippenstift war absolut todbringend. Joanna liebte Gifte jeder Art, was ihr den Spitznamen Black Widow eingebracht hatte.

Als ihre schwarzen Samsonite-Koffer auf dem Band erschienen, griff sie danach und hob sie mit erstaunlicher Kraft herunter. Auf dem Weg zum Taxistand zog sie eine Menge Blicke auf sich. Die Frauen blickten neidisch, manche empört hinter ihr her. Die Blicke der Männer waren bewundernd, ja manche sogar lüstern. Einer pfiff ihr überdies hinterher. Joanna kannte dieses Schauspiel zur Genüge.

Sie war in ihrem schwarzen Ledermini und der kurzen schwarzen Lederjacke eine unerhört sexy Erscheinung. Die Messingabsätze der schwarzen High Heels klackerten auf dem Marmorboden und bei jedem Schritt schwang ihr mehr als hüftlanges tizianrotes Haar hin und her.

Vor dem Airport-Gebäude angekommen, winkte sie ein Taxi zu sich. Dem Fahrer, ein stattlicher junger Mann von indianischer Prägung, fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er Joannas endlos langen Beine anstarrte. Als sie seinen Blick bemerkte, lächelte sie spöttisch und sagte: "Ich weiß, sie sind sehr lang, aber ich ziehe es doch vor, zum Hotel zu fahren statt zu laufen." Mit hochrotem Kopf verfrachtete der Fahrer die Koffer in sein Auto und stieg ein. Sie nannte ihm die Adresse des Hotels und lehnte sich entspannt in die Polster.

Joanna entlohnte den Taxifahrer großzügig, nachdem er ihr die Koffer bis vor den Tresen des Ambassador-Hotels gebracht hatte. Mit einem Lächeln wendete sie sich an den Portier.

"Es ist ein Zimmer für mich reserviert worden. Auf den Namen Heldt, Joanna Heldt", sagte sie mit einem strahlenden Lächeln.

Der Portier tippte etwas in den Computer. Dann schüttelte er den Kopf:

"Nein, es ist kein Zimmer auf Ihren Namen reserviert."

Joanna runzelte die Stirn; ehe sie jedoch etwas entgegnen konnte, fuhr der Portier schelmisch griensend fort:

"Mr. Toshiwara hat eine Suite für Sie reserviert."

Auf dem Gesicht der jungen Frau zeigte sich ein leises, fast verliebt wirkendes Lächeln. Sie war nun seit mehr als einem Jahr nicht mehr die Geliebte desYakuza-Bosses Toshiwara Azato, doch er sorgte immer noch für sie, als ob sie es wäre. Joanna ließ kurz ihre Gedanken in die Vergangenheit schweifen. In Kobe als Tochter des deutschen Botschafters geboren, war sie sehr behütet in Tokyo im Regierungsviertel Nagatacho aufgewachsen. Mit 17 hatte sie in einer Disko einen jungen Mann kennen gelernt, der sich im Nachhinein als Yakuza herausstellte. Doch nicht er, sondern der Drache, das Oberhaupt dieser Organisation, hatte ein Auge auf sie geworfen. Toshiwara Azato umgarnte sie bald ein Jahr lang, bevor sie zwei Tage nach ihrem achtzehnten Geburtstag zu seiner Geliebten wurde, was sie dann drei Jahre lang blieb. Der Drache sorgte für ihre Ausbildung in allen für ihn relevanten "Disziplinen". So erlernte Joanna nahezu jede asiatische Kampfsport-Art, den Umgang sowohl mit Schuss- als auch mit Blankwaffen, wobei ihr Schusswaffen immer ein Gräuel blieben. Das Wichtigste war jedoch ihre Lehrzeit bei Sensei Narahito, der sie gewissenhaft in die Verwendung und Herstellung von Giften einwies. Als besondere Gabe an seine hochbegabte Schülerin entwickelte er ein Gift, welches ihr selber nicht schadete, jedoch jeden tötete, der damit in Berührung kam. Joanna setzte dieses Gift mit Vorliebe als rotschimmernden Lippenstift ein. Vor einem Jahr hatten sich der Drache und Joanna dann getrennt. Joanna war mittlerweile zur obersten Assassine und rechten Hand des Drachen aufgestiegen. Ihre Spezialität waren Aufträge der pikanten Art. Sei es, dass ein unliebsamer Wirtschaftsboss verschwinden musste, um durch einen Mann aus der Familie ersetzt zu werden oder sei es, dass ein Politiker in Misskredit zu bringen war, indem man ihn in flagranti mit einer schönen, rothaarigen Unbekannten ertappte - alle diese Aufträge erledigte Joanna.

Ein Wink des Portiers zum Fahrstuhl ließ sie in die Gegenwart zurückkehren. Er überreichte ihr die Tür-Magnetkarte.

"Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in unserem Hause. Der Boy wird Ihnen ihr Zimmer zeigen, Miss Heldt."

Schon war der junge Bursche heran und nahm ihre Koffer auf. Als er auch nach dem Beautycase greifen wollte, war sie um einen Gedanken schneller.

"Nein danke, den trage ich lieber selber", antwortete sie und betrat nach ihm den Aufzug. Oben angekommen, ging der Junge voraus, öffnete mit einem galanten Lächeln die Tür und trug ihr den Koffer hinein, nachdem er ihr den Vortritt gelassen hatte. Sie entlohnte ihn mit einem großzügigen Trinkgeld. Mit einem "Angenehmen Aufenthalt", legte er die Tür-Magnetkarte auf das Tischchen neben der Tür und zog sie leise hinter sich ins Schloss.

Joanna ließ sich aufseufzend auf das Sofa fallen, streifte mit den Füssen die Schuhe ab und legte den Kopf rückwärts auf die Lehne. Wie ich diese Continentalflüge und den Jet-lag hasse. dachte sie. Aber das beste Mittel dagegen ist Bewegung. Also stand sie auf, öffnete die Koffer und begann eine kleine Sporttasche zu packen. Mit dem Fahrstuhl fuhr sie nach unten. Beim Portier fragte sie:

"Ich habe gehört, hier in der Nähe soll es ein Trainings-Center geben?" Er blickte sie überrascht an, sagte aber nichts dazu, sondern beschrieb ihr den Weg. Joanna schenkte ihm noch ein strahlendes Lächeln, verließ die Halle, pfiff sich ein Taxi ran und stieg ein.

Durch Zufall hatte sie wieder den Indianer als Fahrer. Er grinste zu ihr nach hinten und fragte: "Wieder zurück zum Flughafen?" Mit einem spitzbübischen Grinsen antwortete sie: "Nein, zum Trainings-Center", und nannte ihm die Adresse.

Nach einem harten, erfolgreichen Training stand Joanna in dem großen Waschraum allein unter der Dusche. Sie genoss das heiße Wasser auf den beanspruchten Muskeln. Behaglich ließ sie das warme Nass über ihren wohlgeformten Körper rinnen. Ihr Haar klebte wie eine feurige Lohe an ihrem Leib.

Durch das Rauschen des Wassers hörte sie das Öffnen und Schließen der Duschraumtür. In diesem Moment drehte Joanna mit Schwung den Temperaturknopf auf kalt. Mit einem Zischen zog sie den Atem durch die Zähne ein.

"Ganz schön kalt, was?", ertönte eine Stimme hinter ihr, deren Klang ihr verriet, dass der Sprecher bis an die Ohren grinste.

Langsam drehte sich Joanna zum Sprecher um, strich dabei das Wasser aus ihrem langen Haar. Glitzernd perlte es über ihren Körper.

"Ja, aber es ist auch sehr erfrischend....... erregend", antwortete sie.

Ihr Gegenüberriss erstaunt die Augen auf. "Ups, du bist ja eine Frau."

Mit einem feinen Lächeln blickte sie an ihrer perfekt geformten Figur hinab.

"Ja... doch.... ich denke schon, dass ich eine Frau bin", erwiderte sie mit einem breiten Grinsen, das ihre makellosen, weißen Zähne aufblitzen ließ. "Was hattest du denn gedacht?"

Verlegen kratzte sich der junge Mann am Hinterkopf und ließ den Blick über ihren Körper wandern. "Na ja, hier trainieren eigentlich hauptsächlich Kerle. Deshalb bin ich ein wenig erstaunt, hier eine Frau zu finden. Vor allem, weil das hier die Duschräume für die Kerls sind", sagte der Schwarzhaarige mit einem extrem breiten Grinsen.

"So? Das sind also die Männerduschräume?", fragte Joanna mit gespieltem Erstaunen. "Dann habe ich mich wohl geirrt."

Während der junge Mann seine Dusche anstellte, sich einseifte, fragte er: "Trainierst du öfters hier?"

Joanna griff nach einem Handtuch und begann ihr Haar zu frottieren.

"Vielleicht."

Als sie die in das Tuch gewickelten Haare schwungvoll nach hinten warf, wurde ihr Drachentattoo über dem Steißbein sichtbar.

"Heh, das sieht aus wie Hikarus Drache", murmelte Claude in seinen Duschstrahl.

Unmerklich zuckte sie bei der Nennung des Namens zusammen.

"Tolles Tattoo", sagte er nun etwas lauter und deutete auf Joannas Kehrseite. "Ein Kumpel von mir hat ein ähnliches, nur ist seines über den ganzen Rücken verteilt. Aber es sieht fast genau wie deines aus."

Joanna wickelte sich in ihr Handtuch und drehte sich zu Claude um.

"Das glaube ich kaum. Mein Drache stammt von einem alten Tätowiermeister aus Tokyo."

"Mein Kumpel kommt auch irgendwo aus Japan", erwiderte Claude. "Er ist der Sohn des Dr....." Mit einem leisen Fluch biss er sich auf die Lippe, stellte die Dusche ab und begann sich abzutrocknen.

"Wessen Sohn ist dein Freund?" Joanna war hellhörig geworden, ließ sich aber nichts anmerken.

"Öhm, egal", antwortete der Andere verlegen. "Aber wie gesagt, der Drache sieht fast haargenau so aus", plapperte Claude weiter. Fragend sah Joanna ihn an.

"Hat der Drache deines Freundes denn auch rote Krallen, so wie meiner?" Bei dieser Frage hob sie das Handtuch etwas in die Höhe und drehte Claude den Rücken zu. Dieser schluckte trocken, als er das Tattoo über dem wohlgeformten Hinterteil der Rothaarigen betrachtete.

"Öh,.... nö...... stimmt, haargenau gleich sind sie nicht. Sein Drachen hat, glaube ich, weiße Krallen."

"Siehst du", sagte Joanna und ließ das Handtuch wieder los, das Tattoo den neugierigen Blicken Claudes entziehend. "Dann hat er es bestimmt von einem anderen Meister."

Wieder kratzte sich der junge Mann verlegen am Hinterkopf. "Könntest ihn ja selber fragen, wo er seine Tätowierung her hat", schlug er vor. "Ich treffe mich mit ihm in zwei Stunden in der Cantina Mexicana."

"Cantina Mexicana? Die neben dem Ambassador-Hotel?" Joanna blickte ihn fragend an. Claude nickte nur.

"Hört sich gut an. Wie ist die Küche da?" Sofort begann er in schwärmerischem Ton von den Vorzügen des Restaurants zu erzählen.

"Mal sehen", antwortete Joanna und ging in den Umkleideraum. Sie hatte nun alle benötigten Informationen. In zwei Stunden würde sie auf Hikaru treffen und ihren Auftrag erfüllen.

Beim Verlassen der Halle sah sie zwei Männer trainieren. Fasziniert hielt sie inne und beobachtete beide eine Zeit. Einer der beiden hatte zwei fast unterarmlange Messer, während sein Gegner, ein schlanker Mann mit langen, rotblonden Haaren, sich mit zwei langen Sais [Kampfgabel] verteidigte. Mit blitzenden Augen verfolgte sie den Kampf. Gedankenschnell und äußerst gewandt flogen die Waffen nur so durch die Luft. Beide Kämpfer waren gut, sehr gut. Doch jener mit den Sais hatte es ihr augenblicklich angetan. Seine Ausstrahlung war für sie regelrecht körperlich fühlbar. Mit einem Seufzer wandte sie sich zum Gehen.

Als Joanna die Cantina Mexicana betrat, blieb sie kurz im Eingang stehen. Blitzschnell hatte sie die Räumlichkeiten taxiert, sich einen Tisch erwählt, von dem sie sowohl die Eingangstür als auch den Durchgang zur Küche im Blick hatte. Erfahrungsgemäß hatte jede Restaurantküche einen Hinterausgang, durch den Eingeweihte ein Lokal auch betreten konnten. Sie saß noch nicht ganz am Tisch, da stand ein breitschultriger Mexikaner vor ihr, pfiff durch die Zähne und sagte:

"Joi, sind die lang!" Joanna sah ihn an, nur um grinsend zurückzufragen:

"Wer? Meine Haare oder meine Beine?" Ein jungenhaftes Grinsen stahl sich auf sein Gesicht als er antwortete:

"Beide! Was kann ich dir bringen?"

"Hm? Ein kleines Steak, well done. Einen großen Salat ohne Tomaten und ein großes Glas Wasser, bitte." Ein verführerisches Lächeln begleitete ihre Worte. Der Mexikaner war einen winzigen Moment irritiert, fing sich aber gleich wieder. Kurze Zeit später stand das Bestellte vor Joanna und sie machte sich mit Genuss ans Essen. Immer wieder hob sie unauffällig den Blick und ließ ihn durchs Lokal schweifen. Kaum war das Geschirr abgeräumt, als sich auch schon die Eingangstür öffnete und Claude und Hikaru hereinkamen.

Irritiert blieb Hikaru stehen, verengte die Augen und hob die Nase, als ob er witterte.

"Was ist los?", fragte Claude leise. Hikaru schüttelte den Kopf.

"Nichts. Ich dachte.......... es ist nichts." Der Japaner lächelte seinen Geliebten Claude an und schob ihm mit einer zärtlichen Bewegung eine seiner grüngefärbten, langen Strähnen hinters Ohr.

"Lass uns was essen, Claude-kun [Freund]. Ich sterbe vor Hunger."

Mit zu Schlitzen verengten Augen hatte Joanna diese Szene betrachtet. Ein leises Lächeln huschte über ihr Gesicht. Während Hikaru und Claude aßen, beobachtete sie die Beiden weiter. Hikarus Unruhe wuchs. Immer wieder blickte er durchs Lokal, ohne jedoch Joanna in ihrer Ecke zu bemerken.

Nachdem die beiden Männer ihre Mahlzeit beendet hatten, erhob sich Joanna, ging auf sie zu, ohne das die Messingabsätze ihrer High Heels ein Geräusch verursachten.

"Sei gegrüßt, Sohn des Drachen."

Mit einem Ruck hob Hikaru den Kopf und blickte sie alarmiert an. Joanna legte die rechte Hand auf ihr Herz und neigte grüßend den Kopf. Ein erleichtertes Grinsen ging über Hikarus Gesicht.

"Sei gegrüßt, Joanna-san", erwiderte er.

Claude blickte von Einem zum Anderen und verstand kein Wort.

"Der Drache steigt in den Himmel und sucht den Adler. Doch der Adler verbirgt sich in den Wolken, um dem Drachen aufzulauern. Der junge Drache bleibt im Hort bis sich der Sturm, den der Adler entfachte, gelegt hat", sagt Joanna.

Hikaru blickte einen Herzschlag lang bestürzt, nickte dann und schloss für einen Moment die Augen. Er hatte verstanden. Sein Vater ließ ihm durch seine Assassine mitteilen, dass zur Zeit in Japan zwischen der regierenden Yakuza-Familie des Drachen und der aufstrebenden Familie des Adlers ein Bandenkrieg tobte, aus dem sein Vater ihn heraushalten wollte.

"Hikaru, was ist denn?", fragte Claude leise. Er blickte Joanna böse an. Zwar hatte er kein Wort von der auf japanisch geführten Unterhaltung verstanden, doch eines war ihm klar: Die Nachricht, die die aufregende Rothaarige überbracht hatte, war alles andere als gut. Hikaru öffnete die Augen wieder und blickte Claude liebevoll an.

"Joanna-san hat mir eine Nachricht von meinem Vater überbracht. Ihre Bedeutung werde ich dir nachher in deinem Zimmer erklären. Momentan sind hier zu viele Ohren."

Dann machte er eine einladende Geste zu Joanna, sich doch zu ihnen an den Tisch zu setzen.

"Arigato, dono. .0pt">[Danke, Herr]", antwortete sie, setzte sich und schlug die Beine übereinander. Auch diesmal verfehlte diese Bewegung nicht ihre Wirkung. Claude blickte einen Moment irritiert auf Joannas Beine, dann grinste er entschuldigend in Hikarus Richtung. Joanna lachte auf, als sie dies sah.

"Warum lachst du?", fragte Claude knurrend.

Lachend antwortete Joanna: "Dein Gesicht spricht Bände."

"Glaubst du, du könntest mich mit deinen langen Beinen verführen? Ich bin Hikaru treu."

"Das glaube ich dir gerne. Aber bis jetzt habe ich noch jeden Mann ins Bett gekriegt, wenn ich es drauf angelegt habe", sagte sie gefährlich leise, beugte sich vor und sah dem jungen Mann tief in die Augen. "Und du wärst nicht der Erste, der seinem Gefährten meinetwegen untreu wird. Also mach dir keine Hoffnungen. Wenn ich wollte, würdest du innerhalb einer Stunde in meinen Armen liegen." Dann lehnte sie sich mit blitzenden Augen entspannt in ihrem Stuhl zurück.

"Die einzigen Ausnahmen sind der Tenno [jap. Kaiser] und Hikaru-sama."

Nun war es an dem jungen Japaner zu lachen.

"Warum lachst DU jetzt?", fragte Claude in Hikarus Richtung.

"Beim Ersteren wäre ich mir bei Poison nicht so sicher", antwortete der Asiat lachend.

"Und beim Zweiten?", fragte Claude.

An seiner Stelle antwortete Joanna. "Selbst wenn Hikaru-sama kein Gay wäre, würde ich NIE mit ihm schlafen."

Verständnislos blickte Claude von einem grinsenden Gesicht ins andere.

"Joanna-san war die Geliebte des Drachen. Ich habe dir doch erzählt, dass ich als Sohn des Drachen sozusagen der Kronprinz der Yakuza bin. Und damit bin ich für alle Mitglieder der "Familie" tabu. Egal, wie meine sexuellen Neigungen sind", sagte der Japaner.

Claude guckte immer noch ein wenig verdutzt.

"Ich glaube, so ganz haben sich deine Fragen immer noch nicht geklärt", vermutete Joanna. Der Schwarzhaarige nickte nur.

"Das mit den Drachenkrallen ist mir noch nicht ganz klar. Oder ist es nur Zufall, dass sich eure Drachen so gleichen?"

Der Japaner sah zuerst seinen Geliebten, dann die junge Frau verwundert an. "Drachen? Krallen?"

Joanna grinste.

"Claude-san bemerkte, dass mein Drachen-Tattoo deinem Drachen ähnelt, dono. Daraufhin habe ich ihn gefragt, ob der Drache seines Freundes auch rote Krallen habe, so wie meiner. Was er allerdings verneinte und mir sagte, dass der Drache seines Kumpels, wie er es ausdrückte, weiße Krallen habe. Da wusste ich, dass er nur von deiner Tätowierung reden konnte."

Hikaru guckte ein wenig grimmig zu Claude, der sich sofort verteidigte:

"Ich habe deinen Namen nicht genannt."

"Stimmt", bestätigte Joanna. "Jedenfalls nicht laut", fügte sie breit grinsend hinzu.

Auf die unausgesprochene Frage in Claudes entsetztem Gesicht antwortete sie.

"Obwohl du sicher sehr leise gesprochen hast, habe ich mitbekommen was du gesagt hast."

"Das konntest du gar nicht hören, so leise wie ich gesprochen habe", verteidigte sich der junge Mann empört. "Außerdem rauschten zwei Duschen!"

"Joanna-san hat ein extrem gutes Gehör, zudem kann sie von den Lippen lesen", sagte Hikaru mit einem leisen Lächeln. "Also mach dir keine Vorwürfe, Claude-chan. Was mich jetzt viel mehr interessieren würde, ist, woher du Joanna-sans Tattoo kennst?", fragte er mit gespieltem Ernst und gerunzelter Stirn.

"Ich habe sie im Trainings-Center getroffen", antwortete Claude und nahm leicht Farbe an. "Unter der Dusche", fügte er etwas leiser hinzu, wobei er weder Hikaru noch Joanna anblickte.

Der junge Japaner grinste zuerst, dann warf er den Kopf in den Nacken und lachte schallend. Claude sah ihn völlig entgeistert an. Nachdem Hikaru sich wieder ein wenig beruhigt hatte, sagte er, immer noch breit grinsend:

"Sag, dass das nicht wahr ist, Poison. Du unter der Männerdusche?"

Die Rothaarige zuckte mit den Schultern, bevor sie mit einem zweideutigen Grinsen antwortete:

"Wo sonst, Hikaru-sama."

"Du kannst wirklich nicht aus deiner Haut", grinste der Asiat.

Claude war noch immer verwirrt.

"Aber die verschiedenen Farben der Drachenkrallen sind mir immer noch nicht klar", maulte er.

Joanna sah zuerst ihn, dann Hikaru an. Dieser nickte unmerklich, worauf sie dem jungen Mann erklärte:

"Die rote Farbe ist die Farbe der Unterwerfung, das heißt, alle Yakuza des Clans des Drachen haben ein Drachentattoo. Die weiblichen Mitglieder meistens ein kleines Tattoo über dem Steiß, die männlichen im allgemeinen über den ganzen Rücken verteilt. Es gibt aber auch Ausnahmen. Und alle diese Drachen haben rote Krallen. Nur die Tätowierung des Drachen selber und seines Nachfolgers, in diesem Falle Hikaru-sama, haben weiße Krallen. Weiß ist die Farbe der Herrschaft. Deshalb musste ich sicher sein, dass du vom Tattoo des Sohns des Drachen sprachst und nicht von irgendeiner anderen Drachentätowierung."

Ein Aufleuchten ging durch Claudes Gesicht, als er endlich verstand.

"Er ist süß, Hikaru-sama", grinste Joanna. "Aber ist er nicht ein bisschen jung?"

"Hm, er ist 17", antwortete Hikaru.

"Dann hat er genau das richtige Alter", feixte sie zurück.

Claude blickte ein bisschen ungehalten, da er von dieser Unterhaltung wieder kein Wort verstand, sich aber sicher war, dass es dabei um ihn ging.

Joanna erhob sich und sagte dann: "Ich habe meinen Auftrag erfüllt, also verabschiede ich mich jetzt." Sie legte wieder die rechte Hand auf ihr Herz und verneigte sich leicht in Hikarus Richtung.

"Was hast du jetzt vor, Poison?", fragte er sie. Joanna antwortete:

"Ich habe Order bis auf weiteres hier in New York zu bleiben. Außerdem habe ich noch einige andere Aufträge hier und in San Diego zu erledigen. Wie es dann weiter geht, weiß ich noch nicht, da warte ich dann die Befehle aus Tokyo ab." Sie trat ganz dicht an Claude heran, beugte sich zu ihm hinunter und stricht langsam und erregend mit dem Zeigefinger über seine Kehle nach oben bis unter sein Kinn, um es etwas anzuheben. Ein tiefer Blick in seine Augen, dann spitzte sie ihre rotschimmernden Lippen zu einem Kuss und näherte sie den seinen.

"POISON!!!!"

Alarmiert war der Japaner aufgesprungen und in Angriffsstellung gegangen, jederzeit bereit, die Rothaarige anzugreifen.

Ohne Claudes Kinn loszulassen, drehte sie den Kopf und blickte Hikaru an.

"Keine Angst, dono, er steht nicht auf meiner Liste." Sie wandte sich wieder Claude zu und küsste ihn mit einem verzehrenden Feuer. Sich aufrichtend neigte sie noch einmal grüßend den Kopf in Hikarus Richtung und verließ das Lokal.

Claude blickte ihr irritiert nach. Der Kuss hatte etwas in ihm geweckt, aber er unterdrückte vorerst seinen Wunsch, mit Hikaru in seinem Zimmer zu verschwinden.

Der Japaner entspannte sich langsam und setzte sich wieder. Claude sah ihn fragend an.

"Was hatte denn das eben zu bedeuten? Wieso bist du wie von der Tarantel gestochen aufgesprungen? Nur weil sie mich geküsst hat? Bist du eifersüchtig?"

Hikaru betrachtete ihn einen Moments, dann hob er die Hand, um eine vorwitzige, grüne Haarsträhne hinter Claudes Ohr zu schieben.

"Nein, ich bin nicht eifersüchtig, aber ich liebe dich und deshalb habe ich Angst um dich." Sachte strich er ihm mit dem Zeigefinger über die Lippen. Er betrachtete einen Moment den blutfarbenen Lippenstift auf seiner Fingerkuppe, ehe er die Hand drehte und Claude die rote Fingerspitze vor die Augen hielt.

"DAS war der Grund für meine Angst", sagte er leise und wischte seinen Finger an einer Serviette ab.

Claude blickte ihn verwirrt an.

Hikaru seufzte, um dann zu einer längeren Erklärung anzusetzen.

"Poison ist für den Drachen ungefähr das, was Sean für den Greifen ist."

"Sie ist eine Assassine?" Ehrliches Erstaunen des Schwarzhaarigen. Denn Sean, jener schlanke, rotblonde Kämpfer, den Joanna einige Zeit zuvor in der Trainingshalle beim Kampf mit den Sais beobachtet hatte, arbeitete als Söldner und Assassine für Don Jaime Álvarez y de Torquemada, einem Vampir, genannt der Greif.

"Nicht ganz; sie ist weit mehr als nur eine Assassine. Sie ist außerdem auch die rechte Hand meines Vaters. Ihre Spezialität sind Gifte in jeder Form. Und besonders ihr Kuss kann manchmal absolut tödlich sein. Daher hat sie ja auch ihren Spitznamen Black Widow. Nun kannst du vielleicht verstehen, warum ich eben so erschrocken war."

Jetzt bekam Claude große Augen. "Aber sie arbeitet doch für deinen Vater!"

"Ja, aber das heißt noch lange nicht, dass sie nicht trotzdem auf dich angesetzt wurde."

Claude war nun vollends verwirrt. "Dein eigener Vater würde den Geliebten seines Sohnes umbringen lassen?" Er schüttelte ungläubig den Kopf. Hikaru blickte auf den Tisch, schluckte kurz, um dann zu nicken.

"Zum Wohle der Familie, ja."

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