Am Waldsee

Teil 5 

JAAA, schrie der kleine weiße Elf mit den Schwanenflügeln in seinem Hirn.

Nur eine Freundschaft? Oder wollte er ihn als Geliebten oder gar als Gefährten?

GELIEBTER, grölte der Bocksbeinige.
Aber ehe die beiden wieder in langatmige Diskussionen verfielen, blendete Joran sie einfach aus und beantwortete Sturmwinds Frage.
"Ringg ist..... war", verbesserte er sich, "mein Geliebter. Wir waren einige Zeit Gefährten, bis...... bis....." Er wusste nicht, wie er es Sturmwind erklären sollte, ohne den Jungen in das selbe Gefühlschaos zu stürzen, in dem er sich damals befand. Er schluckte hart, ehe er sich einen Ruck gab. Er war immer ehrlich gewesen, manchmal vielleicht ZU ehrlich, wie eben bei Sturmwind, aber er wollte ihn nicht belügen.
"...bis sich Ringg den Konventionen des Stammes beugen musste und eine Verbindung mit Rikka, der Tochter des Häuptlings, eingegangen ist. Von ihm habe ich auch diesen Karfunkelstein." Joran spielte gedankenverloren mit dem Stein, der an einem dünnen Lederband um seinen Hals hing. "Als Unterpfand unserer ewigen Liebe, hat er gesagt." Bitternis schwang in den Worten mit.
"Aber ich will dich nicht mit meinen Sorgen belasten, Rabenhaar, denn ich fühle, dass du eine große Last auf deiner Seele mit dir herumträgst." **Magst du mir davon erzählen? Oder reißt es frischverheilte Wunden wieder auf?** Joran wechselte bewusst zum Senden, denn diese Frage war ihm einfach zu intim, um sie laut auszusprechen.

Die Entschuldigung drang in Sturmwinds Gehörgänge. Plötzlich bereute er, dass er Joran seine Hand entzogen hatte, schließlich war es schön gewesen, irgendwie zumindest.
Neugierig lauschte er Jorans Erzählung. Er konnte sich nur vorstellen, was es hieß, wenn der Gefährte sich anders entschied und nur einen Stein zurückließ. Nur noch wage erinnerte er sich an die Reden seines Stammes, in dessen anderen Hälfte es auch ein männliches Paar gab. Er war damals noch zu klein gewesen um es zu verstehen. Er hatte als Kind nichts besonderes daran gefunden. Immerhin hatte auch sein Vater einen Freund, mit dem er viel Zeit verbrachte, doch nun verstand er plötzlich den kleinen, aber feinen Unterschied. Es gab Freunde, mit denen man seine Freizeit verbrachte und es gab die, mit denen man mehr als nur ein Essen teilte.
Mitten in seinen Überlegungen erklang das Senden, dass ihn schier auszufüllen schien. Joran schien wirklich interessiert zu sein, aber konnte er dem ja eigentlich Fremden vom Tod seiner Eltern erzählen?
Er suchte den Blick zu den grünen Augen und begann die Bilder der Flut zu senden. Er zeigte Joran, wie seine Eltern von den Wassermassen mitgerissen wurden, wie die kleinen Pfahlhütten zerstört wurden und wie er sich auf einen Baum rettete, nachdem ihm bewusst war, dass er nichts ausrichten konnte. Sturmwinds Körper zitterte merklich, als er Joran an seiner traurigen Erfahrung teilhaben ließ. Die Bilder verblassten...
Mit zu Fäusten geballten Händen saß Sturmwind da und sagte leise: "Das ist dreizehn Neumonde her. Ich wollte zu meinem Bruder, aber ich fand ihn nicht. Seit dem Tod meiner Eltern war ich allein, bis vorhin, als ich Feleya traf..."
Er senkte den Kopf, denn plötzlich brach die Trauer über ihm zusammen. Tränen rannen seine Wangen hinab. Das erste Mal seit jener Zeit weinte er wieder...

Sturmwind fing seinen Blick wieder ein. Wie gebannt starrte er in die dunklen Seen. Dann brachen Bilder über ihn herein, die an Intensität und Gefühlsdichte kaum zu überbieten waren. Joran senkte keuchend den Blick, stütze sich nach vorne mit den Händen ab. Jetzt konnte er die Traurigkeit in Sturmwinds Blick verstehen - verstehen, warum der junge Elf so distanziert und irgendwie auch verschreckt reagiert hatte, als er ihm seine Gefühle gezeigt hatte. Dann hörte er Sturmwinds Worte und blickte wieder auf. Er sah, dass der Junge zitterte, überwältigt von seinen Gefühlen - und er sah auch die Tränen. Vorsichtig beugte er sich vor, hob mit zwei Fingern sachte Sturmwinds Kinn an, damit er ihm in die Augen blicken konnte. **Die Zeit der Einsamkeit ist nun vorbei. Wenn du magst, kannst du bei mir bleiben.** Mit dem Daumen wischte er eine Träne von Sturmwinds Wange. Einer inneren Eingebung folgend, küsste er ganz sanft die restlichen Tränen fort, dann nahm er ihn behutsam in den Arm.

**Ich denke darüber nach**, sendete Sturmwind, wobei er versuchte, die Trauer wieder tief in sich zu verbannen, so wie er es in den letzten Neumonden getan hatte. Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht, als Joran ihm die Tränen mit dem Daumen von den Wangen strich. Doch als er Jorans Lippen spürte, versteifte er, hatte er doch keine Ahnung, wie er darauf reagieren sollte. Unerwartet fühlte er sich von Joran in den Arm genommen und ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit, das ihn an Zuhause erinnerte, hüllte ihn ein. So hatte auch seine Mutter ihn immer festgehalten, wenn er sich als Kind verletzt hatte. Unbewusst schmiegte er sich enger an den warmen Körper. Mit tränenerstickter Stimme flüsterte er: **Warum tust du das? Du kennst mich doch gar nicht.**
Gleichzeitig hatte er das Gefühl, dass ihm an Jorans Seite nichts geschehen konnte.

Joran wiegte Sturmwind sanft in seinen Armen. ** Nein, ich kenne dich noch nicht richtig, aber ich spüre deine große Trauer und Einsamkeit. Und ich weiß, was mir in so einer Situation hilft. Jemand, an den ich mich anlehnen kann.** Beruhigend strich er dem Elfen über den Rücken. "Ich habe dich schon wieder verschreckt, nicht wahr? Ich bin einfach zu impulsiv." Er schob ihn ein kleines Stück von sich weg, um ihm in die tränenfeuchten Augen zu blicken, entließ ihn aber nicht gänzlich aus seiner liebevollen Umarmung. "Sag einfach Halt, wenn ich etwas tue, dass dir nicht behagt. Ich bin es einfach nicht gewöhnt, dass jemand noch gar keine Erfahrung in diesen Dingen hat", sagte er mit einem betretenen Lächeln. "Jetzt weißt du auch, warum man mich Flinkzunge nennt", grinste er verlegen. "Ich bin einfach zu schnell mit dem Mundwerk und oft genauso unüberlegt in meinem Handeln. Sei mir bitte nicht böse deswegen." Aufmunternd lächelte er den Jungen an, zog ihn wieder sachte in seine Umarmung und setzte das beruhigende Streichen fort.

"Ist schon in Ordnung." Sturmwind wischte sich die letzten feuchten Spuren von den Wangen, lehnte sich zurück gegen den kleineren Elf und beschloss, die Nähe zu dem Anderen erst mal auszukosten. Stumm zog er die Arme Jorans enger um sich.
Er fühlte wie die Unruhe in seinem Körper nachließ und wie Zufriedenheit Einzug hielt. Er dachte über Jorans Angebot nach und fand, dass er sich dem Elf anschließen konnte. Dann war er wenigstens nicht mehr ganz allein und wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann musste er sich eingestehen, dass Joran ihn anzog, doch das würde er noch nicht zugeben.
**Ich werde bei dir bleiben, wenn du mir hilfst meinen Bruder zu finden...**

**Klar helfe ich dir, deinen Bruder zu suchen, aber bestimmt nicht mehr heute**, sendete er mit einem kleinen Grinsen, das sich deutlich in seinem Senden mitteilte. Joran genoss das Gefühl, das der junge Elfenkörper in seinen Armen ihm vermittelte. Sachte, um Sturmwind mit seiner Art nicht wieder zu verschrecken, beugte er den Kopf vor und kuschelte sein Gesicht in die schwarze Haarflut. Tief sog er den Duft ein. "Hm, deine Haare riechen wie Schneesterne. Ich habe diesen Geruch immer sehr geliebt, denn er zeigte das Ende des weißen Todes an." Vorsichtig zog er ihn noch ein bisschen näher und intensivierte ebenso vorsichtig sein Streicheln.

Nach dem sie eine Weile schweigend so dagesessen hatten, sagte Joran leise an Sturmwinds Ohr: "Ich habe oben in dem Baum hinter uns eine große Höhle entdeckt. Wollen wir uns die als Schlafnest für heute Nacht einrichten? Ich habe zwei Schlaffelle, aber vielleicht sollten wir noch ein wenig trockenes Farnkraut sammeln, als Unterlage, damit wir bequemer liegen."

Ein Schauer nach dem anderen jagte durch Sturmwinds Körper. Was war das? Wieso löste Joran bei ihm dieses angenehme Prickeln aus? Er genoss die Umarmung und wünschte sich, es würde nie wieder anders sein.
Gerade als er dem Elf danken wollte, dass er ihm bei Suche helfen würde, begann dieser ihn intensiver zu berühren. Alles in Sturmwind zog sich zusammen. Es war so schön von Joran berührt zu werden. Ein leises Seufzen löste sich aus Sturmwinds Kehle und lächelnd nahm er das Kompliment zur Kenntnis. Verträumt lächelte Sturmwind vor sich hin. Ihm gefiel was Joran tat und er fand es erregender als die Berührungen von Feleya. Ein leises Ziehen im Unterleib zeigte ihm, dass er mehr von dem Elf wollte. Sacht strich er mit den Daumen über Jorans Handrücken und ließ sofort wieder von ihm ab.
Was tust du da?, herrschte er sich an und beschloss, Joran nicht so schnell wieder so zu berühren. Er würde einfach nur dessen Nähe und Wärme genießen...
Wie aus der Ferne drangen Jorans Worte an sein Ohr. In Gedanken war Sturmwind einfach zu weit weg gewesen, doch er verstand den letzten Satz.
Erst wollte er sich aus Jorans Armen winden, doch irgendetwas an dem Elf zog ihn an und so beließ er es. Warum sollte er sich auch von ihm lösen? Die Gefühle waren einfach zu berauschend, um sie einfach aufzugeben.
"Unten am See liegt mein Bündel. Ich habe ein Gelbstreifenfell bei mir und noch ein paar getrocknete Früchte und Fisch aus meiner Heimat. Lass uns die Sachen holen, dann können wir Farnkraut, was auch immer das ist, holen." Er schmiegte sich noch mal enger an den Körper hinter sich. Er wollte sich mit diesem Gefühl von Joran trennen.

Joran grinste in sich hinein, als er Sturmwinds Seufzen hörte und das sachte Streicheln auf seinem Handrücken spürte. 'Scheint dir also doch zu gefallen, Kleiner, was?', dachte er sich.
Als er die Worte des jungen Elfen vernahm, antwortete er dicht an dessen Ohr: "Dann lass uns deine Klamotten holen und schon mal in der Höhle verstauen." Schnell hauchte er ihm einen kaum fühlbaren Kuss aufs Ohr, bevor er sich erhob, um nun seinerseits seine Sachen schon mal in der Höhle hoch im Baum zu verstauen. Als er geschmeidig vom untersten Ast direkt vor Sturmwinds Füße sprang, grinste er breit.
"Du kennst kein Farnkraut? Das sind große, gefiederte Blätter, die in kleinen Büscheln wachsen. Sie trocknen gut, ohne zu faulen und man kann sie sowohl in frischem als auch in getrocknetem Zustand hervorragend als Fellunterlage benutzen. Wenn man dann noch ein paar bestimmte Kräuter dazwischen streut, dann verzieht sich auch das Ungeziefer, dass sich gern in so ein Lager einnistet und einem die Nachtruhe rauben kann." Mit einem Blick zum Himmel fügte er hinzu: "Wir sollten uns ein wenig sputen, der Himmel sieht nach einem Gewitter aus. Wenn das Farnkraut erst nassgeregnet ist, dann ist es doch nicht zu gebrauchen. Aber was, bei den Hohen, ist ein Gelbstreifen? Ist das ein Tier?"

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