Am Waldsee

Teil 6

Ein leichter, warmer Hauch streifte Sturmwinds Ohr und ließ ihn erschauern. Mit leisem Wehmut registrierte er, dass Joran die Arme um ihn löste und sich erhob. Er hätte noch tagelang so da hocken können, an den warmen Körper geschmiegt und die sichernde Umarmung spürend. Traurig sah er Joran nach, der den Baum erkletterte und seine Sachen in der Höhle, die von hier unten nicht einsehbar war, zu verstauen.
Ich mag ihn, ja, ich mag ihn. Verträumt senkte Sturmwind den Blick, starte auf die Grasbüschel zu seinen Füßen und wünschte sich, Joran würde ihn wieder so festhalten. Es gefiel ihm und es war erregend zu gleich. Gedanken manifestierten sich in seinem Kopf. Gedanken, die er lieber gar nicht haben wollte, doch er bekam sie nicht aus seinem Inneren, das nach Joran schrie.
Mit einem aufatmenden Lächeln sah er Joran an, als dieser unverhofft schnell wieder vor ihm auftauchte. Er nickte bei seinen Worten und gab somit zu verstehen, dass er einverstanden war. Mit einer schnellen Bewegung kam Sturmwind auf die Beine. Sein Blick suchte den Kontakt zu den grünen Augen. "Gelbstreifen...", hauchte er und überlegte, wie er die Tiere an besten beschreiben sollte. "Das sind große, gefährliche Tiere, mit scharfen Zähnen und Krallen. Sie sind gelb-schwarz gestreift und machen Jagd auf alles was sich bewegt."
Aus einer Laune heraus griff er nach Jorans Hand. Seine gute Laune war zurückgekehrt und so zog er den blonden Elf einfach mit in Richtung See. Lachend rief er: "Ich werde dir das Fell zeigen, dann kannst du dir eine ungefähre Vorstellung machen und falls das nicht reicht, werde ich dir meine Heimat zeigen, wenn das Gewitter da ist."

Joran bemerkt Sturmwinds fröhliche Stimmung und freute sich darüber, dass der junge Elf seine Traurigkeit abgelegt zu haben schien. Auch das er sich zum Schluss in seinen Arm anscheinend recht wohl gefühlt hatte, registrierte der blonde Elf mit Freude. 'Dann habe ich ihn ja zum Glück doch nicht so sehr verschreckt. Es wäre wirklich schade gewesen, denn ich mag ihn sehr. Und nicht nur als eventuellen Fellpartner.', dachte Joran grinsend. Doch dann musste er seine Aufmerksamkeit wieder voll auf den Jungen richten, denn der rannte, mit ihm an der Hand, in Richtung See und Joran hatte Mühe, den Zweigen auszuweichen, die Sturmwind einfach nach hinten schnellen ließ. **Auf die Bilder aus deiner Heimat freue ich mich schon. Dann werde ich dir auch meine Heimat zeigen und auch die Schneesterne, nach denen dein Haar so herrlich duftet.**

Ein leises Lachen entfloh Sturmwinds Kehle. Er fühlte sich zum ersten Mal seit langer Zeit nicht einsam und ein Gefühl von Geborgenheit hielt ihn umfangen. Er mochte Joran, auch wenn dieser ein wenig zu oft zu sehr in seine Nähe kam, aber irgendwie fand er es auch schön, dass der kleinere Elf ihn zu mögen schien. Im Stillen dachte Sturmwind sogar darüber nach, länger bei Joran zu bleiben und sich dem blonden Elf anzuschließen, der sich von Moment zu Moment mehr in sein Herz schlich. Eigenartig dachte er, ich mag Joran mehr als meinen Bruder.
**Ja, ich zeige dir meine Heimat und wenn du mich wirklich auf meiner Suche begleitest, dann nehme ich dich mit hin, denn in Wirklichkeit ist es noch schöner. Aber was sind denn Schneesterne?**
Ein leichter Schauer rieselte Sturmwind den Rücken hinab. Er hatte Jorans Emotionen für sich gespürt. Es war ein angenehmes und leicht berauschende Gefühl, dass ihn in den Klauen hielt.

** Der Schneestern ist eine kleine weiße Blume mit einem betörenden Duft, die erscheint, sobald der Schnee beginnt zu schmelzen. Aber das werde ich dir nachher in Ruhe zeigen. Wo sind denn nun deine Sachen?**

Schnell waren die Sachen von Sturmwind gefunden und ebenso schnell in der Baumhöhle versteckt. Dann begaben sich die beiden Elfen auf die Suche nach Farnkraut. Joran zeigte Sturmwind wo Farnkraut wuchs und welche Teile man verwenden konnte. Zwischendurch pflückte er immer wieder ein paar andere Kräuter ab und erklärte grinsend: "Die legen wir zwischen das Farnkraut und die Felle, dann lassen uns die unliebsamen Untermieter in Ruhe." An einer Stelle wuchsen besonders viele Farnkrautbüschel. Gerade als Sturmwind nach einem greifen wollte, griff auch Joran zu. Als sich ihre Hände berührten, durchzog ihn, wie damals, als Sturmwind ihn von dem Krebs befreit hatte, ein Blitz, der durch seinen Körper raste und als weißes Licht in seinem Unterleib explodierte. Er blickte auf und sah in Sturmwinds Augen, die ihn sofort gefangen nahmen. 'Junge, was tust du nur mit mir?', fragte sich Joran und versuchte mühsam, seinen Herzschlag zu beruhigen. Er war sich sicher, dass Sturmwind das Pochen hören musste.

Feleya beobachtete die beiden. Langsam kamen beide näher um Farnkraut zu pflücken und sie legte den Kopf auf ihre Pfoten, doch so dicht war der Busch nicht... sie müsste gesehen werden.

Plötzlich wurde Joran von etwas abgelenkt, das so stark war, dass es sogar sein Herzklopfen in den Hintergrund drängte.
**Gefahr!!**, sendete er an Sturmwind, fasste den jungen Elfen an der Hand und zog ihn eilig in ein nahes Gebüsch. Auf den völlig verständnislosen Blick des Jungen antwortete der Ältere: **Vor uns ist etwas. Ich weiß nicht genau, was es ist, aber ich spüre die Nähe eines Raubtieres. Gibt es hier diese.... wie nanntest du sie??... Gelbstreifen??**

Gelb blitzten ihre Augen aus dem Busch und sie hob zuerst den Kopf, gähnte dann herzhaft und leckte sich kurz über die Pfote. Sie stand auf und trat aus dem Gebüsch heraus, schüttelte sich und sah in die Richtung wo die beiden hinverschwunden waren. **Ich hoffe ich habe Euch nicht gestört?**, sendete sie gewitzt, ließ ihr Fell schwarz glänzen.

Joran riss erstaunt die Augen auf. Wieso konnte er das Senden des Panthers empfangen? Vorsichtig schob er sich vor den jungen Elfen, um ihn im Zweifelsfall mit seinem Körper zu schützen und zog seinen Dolch. Er wusste, dass er mit der kurzen Waffen nicht allzu viel gegen eine heranstürmende Raubkatze ausrichten konnte, doch konnte er zu mindest ihren Schwung bremsen. *Hast du eben gesendet?*, fragte er vorsichtig in Richtung der schwarzen Raubkatze.

Die Großkatze legte sich einfach auf den Boden und fing an, ihr Fell zu putzen, hielt kurz inne...*Ja, das war ich* Wieder etwas amüsierendes hinterherschwingend. Feleya streckte sich nochmals und blickte dann einfach in die Richtung der beiden.

Der blonde Elf sah die Raubkatze irritiert an. "Wieso kann ich dein Senden empfangen?", fragte er leise, ging vorsichtig einige Schritte auf sie zu und hockte sich hin. Vorher hatte er Sturmwind ein Zeichen gegeben, in Deckung zu bleiben. Aufmerksam beobachtete er den Panther, das Messer festumschlossen, immer bereit, zuzustechen, falls die Raubkatze ihn oder den Jungen angreifen würde.

Feleya antwortete nicht, sondern sendete ihm einfach nur ein Bild mit ihrem wirklichen Aussehen....ein leises "Deshalb" hinterherschwingend, sich vollends hinlegend und leicht schnurrend.

Joran bekam große Augen, als er das Bild Feleyas in seinem Inneren gewahr wurde. "Du bist ein Gestaltwandler?", fragte er sie leise. Er hoffte, dass er die Frage so leise gestellt hatte, dass Sturmwind sie nicht verstand, denn er wollte nicht, dass dieser erfuhr, dass er sich am Morgen mit einer gestaltwandlerischen Elfe vergnügt hatte. Joran fürchtete diese Magie, denn sie war ihm unheimlich. Er hatte zwar noch nie einen Gestaltwandler gesehen, aber die Geschichten, die er von ihnen gehört hatte, waren nicht dazu angetan, sein Vertrauen in diese "Sorte" Elfen zu festigen.

**Ja, ich bin eine Gestaltenwandlerin. Was ist daran so ungewöhnlich?**, fragte sie neugierig und schloss ihre Augen, gähnte noch einmal herzlich und lehnte sich nach vorne auf ihre Pfoten, um ihren Kopf auf diese zu legen

"Ich habe immer nur die Alten von Gestaltenwandler reden hören und das meist hinter vorgehaltener Hand. Ich habe es immer für ein Märchen gehalten", antwortete er leise.

Mit einem Grinsen im Gesicht beobachtete er, wie Joran mit Feleya sprach. Er würde dem blonden Elf noch nicht mitteilen, dass er von Feleyas gestaltwandlerischen Fähigkeiten wusste. Ihm gefiel Jorans Aufmerksamkeit einfach zu gut und dass der kleinere Elf ihn beschützen wollte, ließ ihn einfach nur Lächeln.
**Feleya!**, sendete er geschlossen. **Du bist ziemlich neugierig.**

Langsam steckte Joran den Dolch zurück in die Scheide und erhob sich. Er war nun ein wenig verunsichert, was diese Elfen von ihm oder von Sturmwind wollte. In ihrer elfischen Gestalt war sie eine auffallend reizvolle Erscheinung. 'Wenn man auf Frauen steht.', grinste Joran in sich hinein. Wenn sie ihr Spielchen von heute Morgen bei ihm fortzusetzen suchte, dann würde sie sich ihre schönen Zähne aber garantiert an ihm ausbeißen.
Er drehte sich zu Sturmwind um, um ihm zu sagen, dass er sich gefahrlos auf die Lichtung trauen könne, als er in sein grinsendes Gesicht sah. 'Oh Sturmwind, wenn deine Augen lachen, dann siehst du noch verführerischer aus.' Ob der junge Elf sich seiner Wirkung auf Joran überhaupt bewusst war? Wahrscheinlich nicht, denn er konnte mit seinen 16 oder 17 Sommer wohl noch keine großen Erfahrungen in dieser Hinsicht gesammelt haben.

**Ist eine Katze nicht immer neugierig?**, antwortete sie Sturmwind und verwandelte sich in ihre elfische Gestalt. Sie strich sich die Haare zurück und sah kurz zum Himmel hinauf, setzte sich auf und sah wieder zu den beiden hinüber.

**Willst du beenden, was wir vorhin abbrechen mussten?**, erkundigte sich Sturmwind, ohne auf Feleyas Antwort einzugehen. Er sah wie sie ihre elfische Gestalt wieder annahm und verließ endlich das Gebüsch, in das ihn Joran gedrängt hatte. Mit ein paar schnellen Schritten stand er neben dem kleineren Elf und lächelte ihn an. **Danke fürs Beschützen.** Er würde Joran nicht an den Kopf werfen, dass er sehr gut auf sich aufpassen konnte und dass er mit Großkatzen keine Probleme hatte, gehörten die gefährlichen Raubtiere doch seit seiner Geburt zu seinem Leben.

**Hmm wer weiß?** Sie verzog ihren Mund leicht und lächelte dann wieder. *Was macht ihr beide denn hier, außer irgendwelches Grünzeug sammeln?*, fragt sie neckisch, spielt etwas auf die Blicke an, die sich die beiden zuwarfen...

**Wir haben vorhin beschlossen, dass wir uns auf die Suche nach meinem Bruder machen.** Sturmwind ging auf Feleyas Unterton nicht ein, nur mit den Augen suchte er nach Jorans Blick. Die hellen Augen fesselten ihn auf eine Art und Weise, wie er es noch nie erlebt hatte und so lange er sich unsicher über seine Gefühle war, würde er Feleya nichts davon mitteilen.

*Oh wie schön*, antwortete sie. Seufzend lehnte sie sich zurück und blickte wieder in den Himmel. Sie langweilte sich und überlegte, was sie jetzt machen könnte... Auf die Jagd gehen, darauf hatte sie keine Lust... die anderen Elfen hier in der Nähe waren alle "beschäftigt". *Tja, dann lass ich euch wohl mal wieder alleine... schließlich will ich das "junge Glück" nicht stören. Grinsend stand sie auf.

weiter zu Teil 7

zurück zum Geschichtenindex