Am Waldsee

Teil 8

Sturmwind blieb zurück als Joran losrannte. Sein Blick suchte das Tier und fixierte es.
**Joran, so kannst du bei uns nicht jagen, dann wirst du ganz schnell ein Opfer von Gelbstreifen** Leichter Schalk schwang in seinem Senden mit. Joran schien nicht nur heißblütig zu sein, sondern auch schnell. Flinkzunge passte nicht nur zu Jorans Mundwerk sondern auch zu seiner Schnelligkeit. Ob er es im Schlaflager auch so eilig hat?
Sturmwind blieb in seinem Versteck. Was brachte es ihm, wenn er dem Reh nachjagte. Sobald das Tier in seine Nähe kam, konnte er es ohne Probleme erledigen. Er war es gewöhnt ruhig zu warten.

Der erste Pfeil ging daneben, was eigentlich klar war. Dann blieb Joran stehen, orientierte sich kurz und sah, dass Reh wieder in den Wald rannte, ungefähr auf die Stelle zu, an der er Sturmwind zurückgelassen hatte. Er zog den Pfeil aus dem Boden, legte ihn erneut an und schlich hinter dem Reh her.

Na bitte, wer sagt es denn. Vor Sturmwind raschelte es und schon sah er das Reh. Ohne Hast spannte er seinen Bogen und legte an. Das aufgescheuchte Tier kam immer näher. Sturmwind kniff die Augen zusammen und folgte dem Leib des Tieres mit der Pfeilspitze, dann ließ er los und der Pfeil suchte sich sein Ziel.

Er hörte das Sirren eines Pfeils, anschließend den dumpfen Aufschlag des Treffers und spürte, wie ein Leben endete. Vorsichtig schob er sich durch die Blätter und sah, dass Sturmwind das Reh mit einem Schuss erlegt hatte. "Respekt, ein sauberer Schuss, Kleiner. Du hast gerade unser Abendessen und den Proviant für die nächsten Tage besorgt." Anerkennend klopfte er dem jungen Elfen auf die Schulter. Dann blickte er ihm tief in die schwarzen Augen, in denen er so gerne versank. Langsam beugte er sich vor und legte sachte seine Lippen auf die des Jungen. *Danke.*

Ein Lächeln schob sich auf Sturmwinds Züge angesichts des Kompliments. Er sah Joran an und erkannte, wie dieser sich ihm näherte. Still blieb er stehen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als Jorans Gesicht nur noch einen Fingerbreit von seinem entfernt war und schon spürte er warme Lippen auf seinen eigenen. Er versteifte, legte die Hände gegen Jorans Brust und wollte ihn von sich schieben, doch etwas hielt ihn davon ab. Es war schön und unbeschreiblich. Etwas explodierte in seinem Magen und sendete warme Wellen in alles Fasern seines Leibes.
Was sollte er tun?

Er spürte den Druck von Sturmwinds Händen auf der Brust, doch der war nur halbherzig. Anscheinend gefiel es ihm irgendwie doch. Oder war er nur überrumpelt von Jorans burschikosen Art? Egal, jetzt hatte das Reh erst mal Vorrang. Joran blickte sich um, schnitt von einem der Bäume einen kleinen Zweig ab. Dann brach er das Reh auf, tunkte den Zweig in des Blut und reichte ihn Sturmwind mit den Worten: "Jägerglück! (Waidmanns Heil!)"

Sturmwind nahm aufatmend zur Kenntnis, dass Joran sich von ihm löste und trotzdem wünschte er sich, dass Joran weitermachte. Leise seufzte er. Er verstand seinen Körper nicht mehr, der so anders reagierte als sonst.
Er nahm nicht richtig war, was Joran tat und griff unbewusst nach dem Zweig mit dem Blut und plötzlich befand er sich wieder in der Realität. Reiß dich zusammen, Sturmwind!
Er lächelte scheu und murmelte: "Wenn es ein Gelbstreifen wäre, müsste ich jetzt die Ohren entfernen. Ob ich das auch bei dem Reh tun kann?"

"Sozusagen als Jagdtrophäe? Klar kannst du, immerhin hast DU es ja erlegt." Er sah Sturmwind dabei zu, wie er stolz die Ohren des Rehs abschnitt und dann den blutbeschmierten Dolch am Gras abwischte. "Legst du Wert auf die Innereien? Ich würde gerne das Herz haben." Er nahm das Reh aus, breitete die Innereien auf einigen großen Blättern aus und begann dann, das Reh zu häuten. "Aus dem Geweih mache ich Schmuck und Nadeln, vielleicht auch eine klein Büchse, wenn es sich eignet."

"Was willst du mit dem Herz?", erkundigte sich Sturmwind und half Joran beim ausweiden der Beute, als ihm einfiel, dass sie noch kein Feuerholz besaßen.
"Lass uns die Beute zur Höhle bringen, dann geh ich Feuerholz sammeln."

Joran sah Sturmwind an. "Na, essen will ich das Herz. Es ist fast das Beste vom Reh, vielleicht nur noch übertroffen von der Leber. Manche mögen auch die Nieren, aber mir sind die im Geschmack zu streng."
Dann überlegte er. "Ja, mach du schon mal ein Feuer an, ich werde das Reh hier zerlegen und die Innerei auch hier lassen. Wenn wir die Beute zum Baum schleppen, dann haben wir bald ungebetene Gäste." Mit diesen Worten häutete er das Reh weiter, ohne sich noch um Sturmwind zu kümmern.

Der junge Elf schüttelte sich kurz bei dem Gedanken ein Herz zu essen, würde Joran aber nicht sagen, dass ihm davor ekelte. Man besaß nun mal unterschiedliche Geschmäcker. Er hängte sich den Bogen quer über die Schulter und verschwand im Dickicht. Hier und da sammelte er Reisig auf und ein paar dickere Äste für das Grundgerüst. Als er seine Last kaum noch halten konnte, kehrte er zu dem Baum mit der Höhle zurück. Ob Joran schon da war?

Joran zerteilte das Reh, packte das Fleisch, das Herz und die Leber in die Rehhaut. Die übrigen Innereien und die Knochen schob er in ein Gebüsch, wo es sich die Raubtiere holen konnten, dann schulterte er den Sack und kehrte zu ihrem kleinen Lager zurück.
Sturmwind hatte bereits das Feuer entzündet, so dass sie sicher bald essen konnten.

Immer wieder schaute Sturmwind in die Richtung, aus der Joran kommen musste, doch noch sah er ihn nicht. Er wartete doch tatsächlich mit einer leichten Sehnsucht auf den Elf und um sich von seiner Warterei abzulenken, begann er, große Steine in einen Kreis zu legen und darin die größeren Äste zu einer kleinen Pyramide aufzustellen, dann bedeckte er diese mit Reisig. Es dauerte eine Weile, doch dann fingen die ersten trockenen Blätter Feuer.
Zufrieden setzte Sturmwind sich mit dem Wind und wartete. Sein Herz stolperte, als Joran zwischen den Zweigen hervortrat. Er nickte ihm zu und öffnet ein kleines Säckchen, dass er aus der Höhle geholt hatte.

Mit einem kleinen Schnaufer ließ Joran den improvisierten Sack von seinen Schultern gleiten. Er sah mit Freude, dass Sturmwind das Feuer schon gut in Gang gebracht hatte. Zum Glück stand der Wind so, dass der Rauch nicht in die Baumhöhle zog. Er spießte einige Fleischstücke auf und rammte die Stöcke so in die Erde, dass sie nicht zu dicht über dem Feuer hingen. Neugierig sah er zu Sturmwind, der irgendetwas in einem kleinen Beutel hatte. "Wie wollen wir das restliche Fleisch haltbar machen? Wir Nordland-Elfen räuchern es meist. Und ihr? Wie heißt eigentlich dein Stamm?"

Sturmwind sah Joran zu, dann kramte er in seinem Päckchen weiter und dachte über seine Antwort nach. "Wir trocknen das Fleisch." Zufrieden brachte er das letzte Mundfeuer (Chilischoten) ans Freie. "Mein Stamm nennt sich Schattenwaldelfen." Er zog einen Stock zu sich, rieb das rohe Fleisch mit etwas von dem roten Pulver ein, das er noch übrig hatte und hängte es wieder übers Feuer. "Mundfeuer, macht auch gekochte Nahrung einige Tage haltbar." Er zeigte Joran die kleinen Schoten.

Joran nickte nur zu Sturmwinds Antworten. "Ich glaube, trocknen geht schneller, aber geräuchert schmeckt es mir besser. Mal sehen, wie viel übrig bleibt." Neugierig beobachtete er Sturmwinds Vorgehen. Nach einer Weile prüfte Joran das Fleisch und fand es genießbar.

Sturmwind sah, dass Joran sich schon das Fleisch vom Feuer nahm. Er mochte es noch etwas blutig. Das war nichts für ihn und so musste er noch ein wenig warten.
Er zog sich seinen Trinkschlauch ran, entkorkte ihn und trank einen Schluck, dabei ließ er Joran nicht aus den Augen. Er wünschte sich, dass er Jorans Nähe fühlen durfte und so hoffte er, dass sie bald satt waren.

Joran kaute mit Behagen sein Fleisch, ließ aber noch etwas Platz in seinem Magen für das Herz, dass er sich als Abschluss der Mahlzeit gönnen wollte. Als er sah, wie Sturmwind seinen Trinkschlauch hervorholte, fiel ihm siedend heiß wieder ein, dass er vergessen hatte den seinen zu füllen. "Darf ich etwas von deinem Wasser haben? Ich habe vergessen, meinen Trinkschlauch aufzufüllen", fragte er den jungen Elfen.

"Natürlich kannst du was abhaben." Er reichte Joran den Schlauch und schaute nach seinem Fleisch, dass nun endlich durch war. Er zog das Stück vom Stock und legte es auf ein kleines Brett, dass er immer bei sich führte, dann schnitt er das Fleisch in kleine Teile, damit er sie mit seinem kleinen Messer aufspießen konnte. Er roch erst an dem Fleisch, ehe er es sich zwischen die Zähne schob.
"Du brauchst heute kein Wasser mehr zu holen, ich habe in der Höhle noch einen Schlauch. Den kannst du haben." Sturmwind wollte nicht, dass Joran noch mal verschwand und so bot er ihm seinen zweiten Lederschlauch an.

Mit einem dankbaren Nicken nahm Joran den Schlauch entgegen. Als sich ihr Finger dabei für die Länge eines Wimpernschlages berührten, durchfuhr ihn ein gleißender Blitz, der mit aller Macht erst in seinem Magen einschlug, um dann weiter in seinen Unterleib zu rasen. "Danke", krächzte er, räusperte sich und sagte dann: "Dann brauche ich nicht noch mal an den See zu laufen."

"Nein, brauchst du nicht. Ich würde gern mehr über deinen Stamm und dich erfahren und über die Natur in deiner Heimat." Sturmwind kaute an seinem vorletzten Stück Fleisch und schob das Brettchen zu Joran. "Hier, probier mal, heb dir aber ein Stück deines Fleisches auf. Es ist ziemlich scharf, wenn man Mundfeuer nicht gewohnt ist."

Dankbar nickend nahm Joran das angebotene Fleisch an, kaute es bedächtig und hätte beinahe tief Luft geholt. Doch dann besann er sich eines besseren, denn er erinnerte sich, dass seine Mutter ein ähnlich scharfes Gewürz aus einer geschabten Wurzel zubereitete und ihn immer wieder ermahnt hatte, nach dessen Verzehr möglichst nicht durch den Mund zu atmen, noch etwas zu trinken, sondern lieber ein Stück Brot zu essen. Auch diesmal beherzigte er Sturmwinds Rat und aß ein wenig von dem ungewürzten Fleisch hinterher. Als sich der Aufruhr in seinem Mund beruhigt hatte, sagte er: "Joih, ist das scharf!! Und das kannst du so einfach essen?" 'Na warte', dachte er, 'das schreit nach einer kleinen Rache.' Da sie nun fertig gegessen hatten, holte Joran das Herz des Rehs aus dem Beutel hervor. Er teilte es in vier große Stücke, ließ das restlich Blut auslaufen und begann, es in weitere kleine Stücke zu zerschneiden. Genussvoll schob er sich ein Stück davon in den Mund und begann zu kauen. Zwischendurch schnitt er ein feines Stück ab und hielt es Sturmwind hin. "Probier mal, es schmeckt gut. Außerdem glaubt mein Volk, dass das Herz der Sitz der Kraft und des Mutes ist und wenn man das Herz einer Jagdbeute isst, dann gehen diese an den Jäger über."

weiter zu Teil 9

zurück zum Geschichtenindex