Mit einem Nicken
registrierte Sturmwind, dass das Mundfeuer Joran nicht so arg viel
auszumachen schien und das stimmte ihn doch etwas glücklich. Jorans
Satz widerlegte jedoch seine Feststellung, aber er würde die Hoffnung
nicht aufgeben, denn wenn Joran und er Sommy wirklich fanden, dann
musste Joran ans Mundfeuer gewöhnt sein, denn sicherlich aß auch die
andere Hälfte des Stammes alles mit Mundfeuer.
"Ja, bei mir löst es nur eine
angenehme Wärme aus und satt macht es alle mal."
Mit weit aufgerissenem Mund sah er
Joran dabei zu, wie der das Herz des Rehs in kleine Teile schnitt und aß
- völlig roh. Sturmwind schluckte heftig. Auch bei ihm im Stamm gab es
Elfen die Innereien mochten, doch selbst die kochten oder brieten es
vorher. Für Sturmwind waren Innereien noch nie was gewesen. Er schnitt
ja sogar jede Sehne und jedes Stück Fett von seinem Fleisch.
"Sei mir nicht böse, aber das
entspricht nicht meinem Geschmack."
'Bei dir löst dieses
Mundfeuer eine angenehme Wärme aus und bei mir bist du es, der diese Wärme
auslöst, Rabenhaar.', dachte Joran mit einem Anflug von Wehmut. Je länger
er mit Sturmwind alleine zusammen war, je länger er den jungen Elfen in
Ruhe und mit Muße betrachtete, um so mehr stieg sein Begehren nach ihm.
Komischerweise hatte sich das zu erst starke körperliche Verlangen ein
wenig gelegt und hatte mehr einem seelischen, einem geistigen Verlangen
Platz gemacht, ohne jedoch sein körperliches Begehren ganz zu
verdecken.
"Du willst wirklich nichts vom
Herzen des Rehs?" Joran zuckte mit der Schulter und aß dann den
Rest eben alleine auf. Mit einem gemeinen Lächeln fragte er dann:
"Oder willst du lieber ein Stück von meinem Herzen haben?"
Sturmwind schüttelte
den Kopf und lehnte dankend ab. Er würde nicht über seinen Schatten
springen und Herz essen. Er verspürte nicht gerade Lust sich vor Joran
übergeben zu müssen. Schon allein der Gedanke, etwas von dem Herz auf
der Zunge zu haben, ließ in ihm ein mulmiges Gefühl aufsteigen.
Das Lächeln erstarb auf Sturmwinds
Gesicht und machte Platz für aufgerissene Augen. Was hatte Joran gerade
von sich gegeben? Ein Stück von seinem Herz? Gern, aber konnte
Sturmwind das zugeben?
Der junge Elf senkte den Blick,
schaute in die züngelnden Flammen des Lagerfeuers und dachte fieberhaft
nach. Wie sollte er auf diese Fragen reagieren? Was konnte er dazu
sagen, ohne das es peinlich endete. Wenn er verneinte, würde er lügen
und Joran vor den Kopf schlagen, wenn er aber bejahte, dann warf er all
seine Ideale weg und betrog sich und die Wünsche, die er hegte, bevor
er auf Joran getroffen war.
"Was willst du hören?",
hauchte Sturmwind leise und hoffte, dass das Prasseln des Feuers seine
Stimme übertönte.
Die Frage, sehr leise
gestellt, ging fast im Prasseln und Knacken des Feuers unter, doch die
Ohren des Jägers hatten sie trotzdem vernommen. Ja, was wollte er hören?
Er wusste es selbst nicht mehr. Vor ein paar Stunden noch hätte er
gerne gehört, dass Sturmwind mit ihm schnurstracks in die Felle huschen
wollte. Doch jetzt war er sich da nicht mehr so sicher. Klar, er
begehrte diesen süßen, unschuldigen Jungen immer noch, doch noch etwas
anderes hatte sich in ihm breitgemacht. War es das Verantwortungsgefühl
für diesen Elfen, der so ganz ohne Eltern schon über einen
Jahreswechsel durch die Gegend streifte? Oder..... nein, das konnte
nicht sein! Nicht so schnell, er kannte ihn doch erst ein paar Stunden.
Aber vielleicht war an den Legenden und Märchen seines Stammes doch ein
Körnchen Wahrheit. Diese Märchen, die die alten Frauen am Feuer in den
langen Nächten des weißen Todes erzählten, berichteten von Elfen und
Elfinnen, die sich nur ein Mal in die Augen sahen und sofort in
hilfloser Liebe für einander entbrannten.
Joran schüttelte den Kopf, um
diese Hirngespinste zu vertreiben. 'Bleib realistisch, Flinkzunge. Der
Junge ist so was von unschuldig, der kennt höchstens die Liebe seiner
Eltern, aber nicht die Liebe der Erwachsenen und schon gar nicht die Art
von Liebe, die dir jetzt durch den Sinn geht.'
Er rutschte näher an Sturmwind
heran, hob mit einer Hand Sturmwinds Kinn an um ihm in die Augen blicken
zu können, obwohl er wusste welch gefährliche Wirkung dies auf ihn
hatte. "Ich will auf diese Frage eigentlich gar keine Antwort hören,
denn es gibt darauf keine Antwort, die ein Mund geben könnte." Mit
diesen Worten strich er leicht mit dem immer noch blutigen Daumen über
Sturmwinds Lippen. "Die einzige Antwort die es geben kann, kommt
von hier." Damit tippte er auf Sturmwinds Brust und hinterließ
auch hier einen blutigen Fleck.
Sturmwinds Lippen
prickelten. Unbewusst fuhr er sich die Oberlippe mit der Zunge nach und
schmeckte das Blut. Gerade noch rechtzeitig konnte er ein Verziehen des
Mundes verhindern. Joran könnte es vielleicht falsch verstehen. Der süße
Bleigeschmack verursachte ein leichtes Unwohlsein in dem jungen Elf.
Andere Stämme, andere Gewohnheiten, sinnierte er und nahm sich vor,
mehr über die Gebräuche von Jorans Stamm in Erfahrung zubringen, damit
er nicht von noch größeren Überraschungen eingeholt wurde.
Mit den Augen verfolgte er den
Zeigefinger, der sich seiner Brust näherte und dort eine rote Spur
hinterließ. Er widerstand dem Drang, sich den Fleck sofort
wegzuwischen. Mit einem Grinsen dachte er, jetzt bin ich von ihm
gezeichnet....
Ja, was sagte sein Herz? Es schlug
unruhig unter seinen Knochen und das war gut so, sonst würde Joran es
sehen. Sturmwind lauschte in sich und versuchte zu hören, was sein Herz
rief.
"Mein Herz freut sich darüber,
dass ich auf dich getroffen bin."
Joran verfolgte genau,
wie Sturmwind auf das Blut auf seinen Lippen und auf seiner Brust
reagierte und er sah auch, wie er sich beherrschen musste, um nicht
angewidert den Mund zu verziehen. Innerlich grinste er. Ja, Blut war
nicht jedermanns Geschmack. Aber Joran hatte ihn nicht vorsätzlich mit
dem Blut beschmieren wollen, doch er hatte vollkommen vergessen, das
seine Hände immer noch blutig vom Rehherzen war.
"Nun hast du doch die Kraft
und die Schnelligkeit des Rehs in dir aufgenommen, mein schönes
Rabenhaar", sagte er leise. Er betrachtete Sturmwinds Gesicht
einen Moment im flackernden Schein des Feuers, ehe er fortfuhr:
"Ja, mein Herz ist darüber auch sehr erfreut." Er versuchte
eben dieses Herz ein wenig zu beruhigen, denn er hatte das Gefühl, ein
wildgewordenes Baumflinkchen in seiner Brust zu haben und nicht ein
Herz, so wild schlug es. Mit einem Lächeln sagte er dann: "Ich
habe dich mit dem Blut vollgeschmiert, verzeih bitte, das wollte ich
nicht. Sieh' nur, wir sehen aus wie die Schlammwühler." Er zeigte
Sturmwind seine blutigen Hände und als er an sich hinabblickte,
gewahrte er, dass auch auf seiner Brust einige Blutflecke zu sehen
waren.
"Jetzt muss ich doch noch mal
an den See, denn so kann ich ja wohl kaum in die Felle kriechen. Kommst
du mit?"
Jorans Herz ist auch
erfreut? Dann mag er mich anscheinend wirklich... In Sturmwind fand ein
Gewitter statt. Bis jetzt war er davon ausgegangen, dass Joran in ihm
nicht mehr sah, als einen Gefährten für ein Nacht, doch nun musste er
seine Überlegungen in eine ganz andere Richtung lenken.
"Ja, nun habe ich wohl die
Geschmeidigkeit des Rehs in mir." Eigentlich sollte es ein kleiner
Scherz werden, doch irgendwie fand er es gar nicht witzig. Kurz biss er
sich auf die Unterlippe. Wieso fiel es ihm so schwer in Jorans Nähe die
passenden Worte zu finden? Er war noch nie wortgewandt gewesen, aber
neben Joran, der ein Wortkünstler war, kam er sich noch plumper vor.
Vielleicht konnte er von dem Elf lernen, wie er schlagfertiger wurde.
Die Idee von einem Bad im See fand
Sturmwind gar nicht so schlecht. Aber war es gut, jetzt mit Joran ins
Wasser zu steigen? Er würde den etwas kleineren Elf nochmals so sehen,
wie zu dem Moment, als sie aufeinander trafen. Würde er den Anblick
vertragen ohne rot zu werden? Joran würde auch ihn sehen...
Was, wenn Joran sich nicht mehr
beherrschen konnte? Es war ja ganz offensichtlich, dass Joran viel mehr
von Sturmwind wollte, als nur ein Gespräch.
Der junge Elf haderte mit sich und
seinen Empfindungen. Er würde Joran beim Bad sicherlich näher kommen.
Fühle er sich dafür schon bereit genug? Er wollte die Hände fühlen,
auch die Lippen, aber das ging doch nicht.
Seine Stimme zitterte vor Nervosität,
als er zustimmte: "Ja, ich könnte auch noch ein Bad vertragen. Ich
mag es nicht, wenn meine Haare nach Rauch riechen. Ich kann dann nicht
richtig schlafen und schreck immer hoch, da ich denke, unsere Hütte
steht wieder in Flammen."
Sturmwind hielt erschrocken inne.
Gerade hatte er Joran einen Blick in seine Vergangenheit gewährt.
"Hm, das wäre
bestimmt ein unwiderstehlicher Geruchsmix: Der Duft von Schneesternen
mit dem Aroma von geräuchertem Fleisch. Zwei Düfte, die ich für mein
Leben gern habe", brummte Joran grinsend. Dann gingen ihm erst
Sturmwinds Worte auf. "Eure Hütte ist mal abgebrannt? Ich dachte,
deine Eltern wären bei einer Flut....." Er schlug sich die Hand
vor den Mund. 'Flinkzunge, erst denken, dann reden!!', mahnte er sich in
Gedanken. "Verzeih' bitte", sagte er leise, als er die Wehmut
in Sturmwinds Augen aufflackern sah. Mit einer hilflosen Geste zog er
den Jungen einfach an sich, um ihm tröstend unter der Weste über den Rücken
zu streichen, darauf bedacht, ihm nicht auch noch die Kleidung mit
seinen blutigen Händen zu verschmutzen.
"Meine Eltern
kamen bei der Flut ums Leben", murmelte Sturmwind. "Seit dem
suche ich ja meinen Bruder."
Er schmiegte sich an Joran, der ihn
in die Arme schloss. Er spürte dessen warme Hände auf seinem Rücken
und wünschte sich, dass es für immer so bleiben konnte.
Er versteckte sich regelrecht in
Jorans Umarmung, als er leise erklärte: "Ich war 7 mal 12 Neumonde
alt, als ich in der Nacht erwachte. Beißender Qualm drang mir in die
Augen. Ich war vom Feuer eingeschlossen. Ich hörte meinen Vater nach
mir rufen, der auf der anderen Seite der Feuerwand stand, war aber steif
vor Angst. Ich konnte mich nicht rühren. Irgendwann begriff ich, dass
ich sterben würde, wenn ich nicht etwas unternahm. Ich sprang einfach
aus dem Fenster. Ein Blitz hatte unser Pfahlhaus in Brand gesetzt."
Sturmwind fuhr mit den Fingern
durch Jorans Haar und löste sich von ihm.
"Lass uns zum See
gehen!", bat er und stemmte sich hoch. Länger hätte er Jorans Nähe
nicht ausgehalten. Alles in ihm kribbelte und er brauchte dringend eine
Abkühlung.
Man nannte ihn zwar
Flinkzunge, aber wenn es darum ging, tröstende Worte zu finden, war er
stumm wie ein Stein. Er konnte nur mit Gesten trösten und das tat er,
in dem er Sturmwind seine Nähe und seine Sicherheit spüren ließ.
Als der junge Elf sich von ihm löste,
konnte er in dessen Gesicht sehen, wie sehr ihn die Erinnerungen an
damals und vielleicht auch seine Nähe aufwühlte.
"Ja, lass uns schnell in den
See hüpfen, bevor wir schlafen gehen. So ein Bad bei Vollmond ist was
herrliches", sagte er und erhob sich ebenfalls.
Am Seeufer angekommen, blickte
Joran kurz zum Himmel, stellte mit Freude fest, dass sich das Gewitter
nun doch verzogen hatte und dafür einen blitzblank geputzten
Sternenhimmel hinterlassen hatte, an dem der Vollmond groß und rund
stand und den See geheimnisvoll glitzern ließ. Er griff nach dem
Karfunkelstein an seinem Hals und dachte wieder an Ringg und wie viele Nächte
sie einfach nur nebeneinander im Gras gelegen und den Himmel betrachtet
hatten. Oft waren sie auch bei Vollmond schwimmen gegangen und er hatte
es geliebt, wenn sich das Mondlicht auf dem nassen Körper des jungen
Elfen gespiegelt hatte.
Ein Geräusch hinter sich ließ ihn
in die Wirklichkeit zurückkehren. Er drehte sich um und sah Sturmwind
an. Wieder einmal stellte er fest, dass der junge Schattenwaldelf seinem
früheren Geliebten so sehr glich, dass es schon fast weh tat.
Sturmwind schaute
verträumt zum Himmel hinauf. Beide Monde strahlten so hell wie schon
lange nicht mehr. Es fasziniert mich immer wieder aufs Neue, wenn ich so
weit schauen kann. Kein Dschungel um mich herum, mit seinen riesigen Bäumen,
die die Sicht einschränken. Ein kurzer Blick auf Joran. Auch dieser
schien gerade in den nächtlichen Himmel zu entfliehen.
Sturmwind suchte sich einen Felsen,
berührte ihn mit der Hand und nickte. Der Stein strahlte noch die Wärme
des Tages aus. Wenn er seine Kleidung darauf ablegte, war sie nachher
schön warm, denn sicherlich würde er nach dem Bad leicht frösteln.
Auch wenn es am Tag heiß gewesen war, die Nächte hier waren kühler,
als die im Nachtschattenwald.
Er streifte seine Weste ab, die
Schuhe und zog die Hosen über die Hüften. Sollte er mit dem
Lendenschurz ins Wasser?