Am Waldsee

Teil 41

Wild schlug sein Herz in der Brust. Was sollte er tun? Fügte er Sturmwind bewusst Schmerzen zu, würde er aller Wahrscheinlichkeit nach gesunden. Unterließ er es jedoch, dann bestand die Gefahr, dass das Liebste, was er hatte, starb. Sich die Haare raufend rutschte Joran am Stamm des Baumes nieder, schlang die Arme um die angezogenen Knie und legte die Stirn darauf. Er ließ seinen Tränen einfach freien Lauf. Nun wusste er, warum seine Schwester einmal sagte, die Liebe brächte auch Schmerzen mit sich. Bei einem Fremden hätte er getan, was notwendig gewesen wäre, aber bei Sturmwind brachte er es einfach nicht übers Herz.

Sturmwind wartete auf den alles zerreißenden Schmerz, doch nichts tat sich. "Nun mach schon!", knirschte er, nachdem er sich das Leder zwischen den Zähnen entfernt hatte.
Vorsichtig drehte er den Kopf und wollte zu Joran schauen. Der blonde Elf war verschwunden. Er sah ihn gerade noch im Unterholz verschwinden. Sturmwind atmete durch. Der Schmerz war ihm erst einmal erspart geblieben. Völlig fertig blieb der junge Elf liegen, versuchte sein wild schlagendes Herz unter Kontrolle zu bekommen und die Angst aus seinem Kopf zu vertreiben. Als er dann endlich wieder normal atmen konnte, sendete er: **Joran?**

Ein Senden erreichte seinen Geist, doch Joran verschloss sich dafür. Er konnte zwar vor der Entscheidung nicht weglaufen, aber noch hatte er keine Lösung gefunden, weshalb er auch nicht auf Sturmwinds Senden antwortete. Er hoffte, dass Sturmwind vernünftig genug war, liegen zu bleiben und nicht nach ihm zu suchen. /Auf jeden Fall vernünftiger als ich. Weglaufen ist keine Lösung, Flinkzunge!/, mahnte er sich selber. /Stell dich dem Problem./ Müde stand er auf und machte sich auf den Rückweg. Sein Blick fiel auf einen dunkelgrünen Strauch und mit einem Mal wusste er, was zu tun ist. Unendlich erleichtert betrat er den Platz ihres Lagers.

**Joran!**, sendete Sturmwind noch einmal eindringlich, da der blonde Elf nicht auf ihn reagierte. **Komm wieder!** Vorsichtig stützte er sich mit dem gesunden Arm auf und drückte sich hoch. Er ging bis zum Lagerfeuer, hielt sich wacklig auf den Beinen. **Joran!** Angst keimte in dem jungen Elf auf. Hatte Joran ihn verlassen?

Kurz bevor er die Lichtung betrat, erreichte ihn ein weiteres, dringliches Senden. Joran lief schneller und kaum hatte er die Lichtung betreten, konnte er im letzten Moment noch Sturmwind auffangen, den seine wackeligen Beine nicht mehr trugen. "Schneestern, was machst du für Sachen?", fragte er leise, ohne Vorwurf in der Stimme. Zu jeder anderen Zeit hätte Sturmwinds Nacktheit ihm die wildesten Gefühle beschert, doch momentan sah er sie kaum. Vorsichtig bettete er ihn wieder auf den Fellen und deckte ihn sorgfältig zu. Mit einem Lächeln sah er ihn an. "Ich habe eine weniger schmerzhafte Lösung gefunden, aber dafür muss ich noch mal schnell in den Wald." Er küsste sanft die braune Stirn.

Sicher umschlangen ihn Arme, grüne Augen schauten ihn an und Sturmwind atmete erleichtert auf. Joran war wieder da. "Wie?", hauchte er, als warme Lippen seine Stirn berührten.

"Ich bin gleich wieder da, mein Schneestern. Bleib schön liegen." Suchend blickte er sich nach seinem Dolch um, den er ja kurz zuvor wutentbrannt von sich geschleudert hatte. Dort, am anderen Ende der Lichtung spiegelte sich die Sonne in der Klinge. Joran hob ihn schnell auf und verschwand wieder im Wald. Dort hatte er einen Schachtelhalm-Busch entdeckt, mit dessen Nadeln und einem Sud daraus sich Sturmwinds Wunde reinigen ließ, ohne dass er sie aufschneiden musste. Den Sud würde er über die geöffnete Wunde gießen, die er zuvor mit den ausgekochten, feuchten Nadeln eingeweicht und so den Schorf relativ schmerzlos entfernt hatte. Eifrig sammelte er eine große Menge der Nadeln und lief eilig zurück zum Lager.

Sturmwind nickte nur. Er sah Joran nach, als dieser seinen Dolch am Ende der Lichtung aufhob. Der junge Elf grübelte, wie Jorans kleine Waffe dort hingekommen war, kam aber auf kein Ergebnis. Ihm fehlte ein ganzes Stück seiner Erinnerung. Er hatte ja nicht mal bemerkt, dass Joran sich von ihm entfernt hatte. Mit klopfendem Herzen blieb Sturmwind liegen. Was auch immer Joran vorhatte, es schien um einiges schmerzfreier zu sein, als das, was er vorhin vorhatte.

Kaum auf der Lichtung angekommen, warf er die Schachtelhalm-Nadeln neben das Lagerfeuer, griff sich den Kessel und lief wieder los zum Bach um Wasser zu holen.

Schon wieder halb am Schlafen, sah Sturmwind, wie Joran etwas neben das Feuer warf, sich den Kessel griff und wieder verschwand. Träge fielen dem jungen Elf die Augen erneut zu.

Als Joran mit dem Kessel voll Wasser wieder zurückkam, schlief Sturmwind wieder. /Gut, Schlaf ist immer gut./ Flink schürte er das Feuer neu, damit es ordentlich brannte und setze den Kessel auf. Die Nadeln des Schachtelhalm häufte er auf eines der Stofftücher, schnürte es zu und hängte es in den Kessel, als das Wasser kochte. Nun konnte er nur noch warten und in der Zwischenzeit Sturmwind erneut mit kühlen, feuchten Tüchern abreiben. Liebevoll strich er ihm immer wieder über die heiße Stirn.

Etwas Kaltes strich über Sturmwinds heiße Stirn. Murrend versuchte er sich auf die Seite zu drehen und stöhnte auf. Im Schlaf hätte er sich beinah wieder einmal auf seinen gebrochenen Arm gelegt.
"Joran?", flüsterte er. Es fiel ihm immer schwerer sich zu artikulieren. Die Zunge klebte ihm am Gaumen, seine Lippen waren spröde und brannten erbarmungslos. "Gib mir bitte was zu trinken!"

Joran richtete Sturmwind vorsichtig ein wenig auf und hielt ihm den Wasserschlauch an die Lippen. "Trink langsam", mahnte er den Elfen, als dieser gierig schluckte. Dann bettete er ihn wieder auf die Felle und suchte in seinem Beutel nach der Heilsalbe, die er behutsam auf die spröden Lippen auftrug. Endlich war auch der Schachtelhalm-Sud fertig, so dass Joran Sturmwind vorsichtig auf den Bauch drehte und mit dem abgekühlten Beutel voller Schachtelhalm die entzündete Wunde betupfte. Immer wieder feuchtete er die den Beutel in dem Sud an, bis sich der Schorf auf der Wunde erweicht hatte. Der Nordland-Elf hoffte, dass Sturmwind soweit in seinem Fieberwahn versunken war, dass er die Schmerzen, die er ihm trotz allem bereiten musste, nicht allzu sehr spürte. Noch einmal holte er tief Luft, ehe er den Schorf mit einem schnellen Ruck abriss. Sofort begann die Wunde zu bluten und Joran rollte Sturmwind auf die Seite, damit das Blut abfließen konnte. Vorsichtig und langsam goss er immer wieder den laufwarmen Schachtelhalm-Sud über die Wunde. Dann, nachdem er alles aufgebraucht hatte und Sturmwind sorgfältig wieder abgetrocknet und auf den Bauch gerollt hatte, trug er die zerstampften Breitwegerich-Blätter auf die Wunde auf und bedeckte sie mit einem Streifen saubern Leinens. Nun konnte er nur noch hoffen und zu den Hohen und den Geistern flehen, dass seine Bemühungen nicht schon zu spät waren. Noch einmal setzte Joran einen Weidenrinden-Sud an, denn den würde Sturmwind auf jeden Fall noch brauchen.

Sturmwind trank so viel, bis sein Magen voll war und er den dumpfen Druck spürte. Wehrlos ließ er sich von Joran auf den Bauch drehen. Die Augen fest geschlossen haltend ließ er alles über sich ergehen. Ein leises Stöhnen entrang sich seinem Mund, als ein ziehender Schmerz seinen Rücken heimsuchte. Er wusste nicht was Joran tat. Es war ihm auch egal. Er wollte nur eins - schlafen...
Nur einmal öffnete der junge Elf die Augen, als Joran ihm einen Verband anlegte. "... liebe dich...", nuschelte Sturmwind, dann glitt er in die tiefe Dunkelheit des Schlafes.

"Ich liebe dich auch, mein Schneestern", antwortete Joran leise, wohl wissend, dass Sturmwind ihn nicht mehr hörte. Immer wieder strich er ihm über die heiße Stirn, kühlte den Körper vorsichtig mit feuchten Tüchern. Unruhig lief er hin und her. Es machte ihn schier wahnsinnig, dass er nichts weiter tun konnte, als zu warten. Warten, dass Sturmwind erwachte, damit er ihm den Weidenrinden-Sud oder Wasser einflössen konnte; warten, dass der Sud seine Wirkung tat; warten, dass der Breitwegerich-Brei die Entzündung aus der Wunde zog. Zum wievielten Male er an diesem Abend und der folgenden Nacht er Sturmwinds Stirn befühlt und die Entwicklung des Fiebers beobachtet hatte, konnte er nicht sagen. Einige Male hatte Joran versucht ein wenig Schlaf zu finden, war aber immer wieder aufgeschreckt, weil er meinte, Sturmwinds Stimme gehört zu haben, was sich dann allerdings meist als das Rauschen des Windes in den Blättern oder das Rascheln eines Tieres im Unterholz herausstellte.

Etwas bewegte sich. Es war rot, blutig, sah aus wie dicke Würmer die sich umeinander wanden. Die Masse wurde größer, nahm immer mehr an Umfang zu und nahm die Form von Innereien an.
Unruhig bewegte Sturmwind sich, gefangen von den Bildern, die ihm das Fieber bescherten. Tief Luft holend schlug er die Augen auf. Dunkelheit umgab ihn. "Joran?", rief er vor Panik zitternd.

Der Nordland-Elf schrak hoch. "Ich bin hier, Sturmwind, hinter dir", antwortete er in beruhigenden Ton, denn die Panik, die Sturmwind gefangen hielt, war deutlich in seiner Stimme zu hören. Sanft legte Joran die Arme um den jungen Elfen und streichelte ihm tröstend über die Brust. "Ssssscchhh, es ist nichts geschehen, ich bin bei dir, Schneestern." Leise Worte, die zu beruhigen versuchten.

Sturmwind versuchte sich so weit wie möglich an Joran zu drängen.
"Blut", murmelte er. "So viel Blut..."

"Nein, die Wunde blutet nicht mehr, Sturmwind. Und sie ist auch schon viel heller geworden, also ist ein großer Teil der Entzündung schon raus." Immer wieder strich er Sturmwind über den Kopf und den Rücken, versuchte ihn zu beruhigen und ihn von den Traummahren zu befreien. Leicht wiegte er ihn dabei vor und zurück. "Versuch' wieder zu schlafen. Ich bleibe ganz dicht bei dir."

"Nicht die Wunde", flüsterte der junge Elf. "In meinem Kopf."
Noch immer glaubte Sturmwind die Bilder zu sehen. Sein Körper wurde erschüttert. "Ich habe Angst..." Tränen bahnten sich den Weg ins Freie. "Ich hätte bei dem Sturz sterben können, dabei habe ich dich doch gerade erst kennen gelernt. Ich will nicht..." Ein Schluchzen ließ ihn seinen Satz nicht zu Ende führen.

Joran fühlte sich unwohl und dieser Situation nicht gewachsen. Mit dem Mundwerk war er zwar immer schnell dabei, aber solche Situationen überforderten ihn. "Du brauchst keine Angst zu haben", murmelte er hilflos. Sich ein wenig streckend, versuchte er, mit einer Hand das Feuer wieder anzufachen ohne Sturmwind loszulassen. Wenn die Dunkelheit ein bisschen erhellt wurde, war es für den Jungen vielleicht einfacher, seine Angst loszuwerden. Joran streichelte ununterbrochen über Sturmwinds Rücken, über den Kopf und hauchte Küsse in das schwarze Haar. "Du bist aber nicht bei dem Sturz umgekommen, also denk nicht daran."

Gequält von den Bildern seines Traumes und der Angst in seinem Inneren schloss Sturmwind die Augen. "Ich will dich nicht verlieren, egal auf welche Weise." Er zog Jorans Arme eng um sich. "Lass mich nicht los!" Dem Dschungelelf war es egal, ob Joran seine Tränen sah oder nicht. "Es tut mir leid - mein Verhalten vorhin war falsch..." Sturmwind atmete noch mal tief durch, ehe er krächzend weitersprach: "Falls mich das Fieber doch noch tötet, dann möchte ich nicht, das wir zerstritten sind."

"Das Fieber wird dich nicht töten, eher ich, wenn du wieder so unvernünftig bist, mein Schneestern." Joran sagte es mit einem Lächeln in der Stimme. Langsam drehte er Sturmwind in seinen Armen, ohne ihn jedoch loszulassen oder ihn mehr seiner Nähe zu berauben, als unbedingt notwendig. Dann sah er ihm in die fiebrig-glänzenden, tränennassen Augen. "Ich werde nicht zulassen, dass ein simples Fieber mir das Liebste nimmt, was ich habe. Ich werde um dich kämpfen und diesen Kampf auch gewinnen, da kannst du dich drauf verlassen." Er legte so viel Zuversicht wie nur möglich in seine Stimme. Langsam näherte er seine Lippen dem Mund Sturmwinds und hauchte einen Kuss darauf. "Wenn du mich nicht verlässt, ich verlasse dich bestimmt nicht. Nie!", flüsterte er.

Ein Zittern lief durch Sturmwinds Körper, als er Jorans Lippen auf seinen fühlte. "Ich muss mal", gab Sturmwind verschüchtert zu. "Hilfst du mir?", bat er, auch wenn es ihm schwer fiel und es ihm mehr als peinlich war. Er wusste, dass er allein nicht zwei Schritte weit kommen würde.

Joran musste grinsen. Er nahm ohne ein weiteres Wort Sturmwind auf den Arm, trug in zum nächsten Baum, lehnte ihn mit der gesunden Schulter dagegen und stützte ihn, damit ihm seine wackeligen Knie nicht den Dienst versagten. "Aber abhalten wie ein Kleinkind muss ich dich doch nicht, oder?", fragte er mit unüberhörbaren Schalk in der Stimme. Dezent blickte er zur Seite.

Sturmwind lehnte den Kopf gegen Jorans Schulter, als dieser ihn auf die Arme nahm. Sein Körper glühte und nun, da er nicht mehr die Wärme ihres Schlaflagers spürte, überzog ihn eine Gänsehaut. Sofort fing er an zu frieren.
Stumm schüttelte er auf Jorans Frage den Kopf, nachdem er sich mehr schlecht als recht an einen Baum gelehnt wiederfand. Ihm drehte es. Ihm war schummrig vor Augen und auch das Wasser lassen wollte ihm nicht gleich gelingen und das, wo ihm die Blase ungehörig drückte. Erleichtert atmete er auf, als es endlich klappte.
"Mir ist kalt", sagte Sturmwind zitternd und lehnte sich schwer gegen Joran, nachdem der Druck endlich aufgehört hatte.

"Gleich wird dir wieder warm." Joran trug ihn schnell zum Schlaflager zurück, steckte ihn vorsichtig unter das Gelbstreifen-Fell. Er holte aus dem Feuer einen heißen Stein, den er wieder in das alte Leder wickelte und zu Sturmwind unter das Fell schob. "Auch wenn deine Blase gerade leer ist, trink noch ein bisschen vom Weidenrinden-Sud." Auffordernd hielt er ihm die Schale an den Mund. Nachdem Sturmwind einige Schlucke getrunken hatte, legte Joran sich hinter ihn, zog ihn vorsichtig an seinen Körper und versuchte ihm ein wenig seiner Wärme abzugeben und gleichzeitig Trost und Zuversicht zu vermitteln. "Schlaf dich gesund, mein Schneestern", flüsterte er.

Sturmwind genoss die Nähe und Wärme des Körpers neben sich. Er war den Hohen dankbar, dass er gerade jetzt Joran in seiner Nähe haben durfte.
"Ich habe soviel geschlafen, wie noch nie zuvor." Sacht strich er mit den Fingern über Jorans Bauch. "Halt mich einfach nur fest, vielleicht kommt die Müdigkeit ja wieder." Auch wenn der junge Elf sich schlecht fühlte und sein Körper schmerzte, hatte er nichts dagegen, Jorans Hände auf sich zu spüren und das machte er ihm unmissverständlich klar: "Berühr mich einfach nur!" Jorans Hände schienen etwas magisches an sich zu haben. Er hatte das Gefühl, dass sie ihm die Schmerzen nehmen konnten und auch die Unruhe, die ihn immer noch gefangen hielt.

Nun musst Joran schon wieder grinsen. "Du scheinst ja auf dem Wege der Besserung zu sein, wenn du schon wieder nach meinen Berührungen gierst, du süßer, kleiner Nimmersatt." So gut es ging versuchte Joran Sturmwind zu streicheln, ohne ihn vollends auf den Rücken, und damit auf die Wunde, zu drehen und auch nicht den verletzten Arm zu berühren. Aber irgendwie schaffte er es Sturmwind dabei auch noch einen leidenschaftlichen kleinen Kuss zu stehlen.

Sturmwind fuhr sich mit der Zunge die Lippen nach. Mit geschlossenen Augen verfolgte er jede Berührung. Es tat so gut. Es lenkte ihn von den Schmerzen ab und auch von dem Brennen im Leib. Irgendwann spürte er von den Qualen gar nichts mehr. Er schien zu schweben. Jorans Aufmerksamkeit schien die beste Medizin zu sein. "Jetzt weiß ich, dass ich wieder gesund werde..." Nur ein Raunen, nicht mehr, denn Sturmwind fiel in einen leichten, erholsamen Schlaf. Jorans Sud schien endlich Wirkung zu zeigen.

Lächelnd beobachtete Joran Sturmwinds Zunge. /Wenn ich nicht so müde und so kaputt wäre, hätte mich diese Geste schon wieder wild gemacht/, dachte er und gähnte verhaltend. Dann rutschte er hinter Sturmwind, stütze ihn, damit er sich nicht auf die Wunde legte und streichelte leicht weiter über Bauch und Brust, während er langsam in einen tiefen, traumlosen Schlaf hinüberdämmerte.

Jedes Mal wenn Sturmwind erwachte, vergewisserte er sich, dass Joran noch bei ihm lag. Manchmal lag er lange munter, ehe er wieder Schlaf fand, doch diese wachen Momente nutzte er, um sich der Nähe seines Gefährten bewusst zu werden und um ihre Finger wieder zu verschränken. Nebel war aufgezogen und hing zwischen den Bäumen. Graue Schleier die sie einhüllten, die Sturmwind beobachtete und in dessen Formen er einiges hineininterpretierte. Es dämmerte, der Morgen war da und bald würde die Sonne auf ihr kleines Lager scheinen. Der junge Elf freute sich auf ihre wärmenden Strahlen und noch mehr freute er sich darauf, bald wieder im Nachtschattenwald sein zu können, an einem Ort, wo er nur in der 'Mutter aller Wasser' frieren würde.

Ein vorwitziger Sonnenstrahl durchbrach das Grau der Nebelschleier und traf Jorans Nase, die er ausgiebig kitzelte. Unwirsch wischte er sich über das Gesicht, murmelte etwas, drehte sich auf die Seite und rollte sich wie ein Igel zusammen.

Hinter Sturmwind brummte Joran irgend etwas und die leichte Umarmung verschwand. Vorsichtig drehte der junge Elf sich auf den Rücken und holte zischend Luft, als er sich kurz auf die Wunde an seinem Rücken legte. Lächelnd sah er auf Joran, der sich zu einer Kugel zusammengerollt hatte. Sacht strich er mit den Fingern über den Rücken vor sich.

"... will noch nicht aufstehen, Kalil", grummelte Joran, drehte sich wieder zurück und zog Sturmwind in seine Arme. "Noch ein bisschen kuscheln." Er vergrub sein Gesicht an Sturmwinds Brust. "Außerdem bist du heute dran, dass Frühstück zu machen", nuschelte er.

Wie von einer Schlange gebissen zuckte Sturmwind zurück. Er hatte Jorans Worte ganz genau verstanden. Kalil, hallte es in ihm nach. /Er denkt ich bin Kalil. Wie kommt er darauf? Liebt er ihn doch noch?/
Sturmwind zog sich das Fell enger um den Körper und blieb steif liegen.

Das Versteifen des Körpers an seiner Seite irritierte Joran und mühsam kämpfte er seine Augen auf. Er brauchte einige Momente um sich zu erinnern, wo er war. Sich aufrichtend sah er in Sturmwinds verschlossenes Gesicht. "Guten Morgen, Schneestern", sagte er fröhlich und beugte sich hinab, um Sturmwind zu küssen.

"Morgen", brummte Sturmwind und versuchte sich dem Kuss zu entziehen. Gerade noch hatte Joran ihn mit Kalil angesprochen und ihn in Annahme dessen an sich gezogen. Und nun tat er so, als würde Sturmwind wichtig für ihn sein.
Der junge Elf sah Joran in die Augen und erklärte: "Lieber nicht. Ich fühl mich noch immer nicht richtig wohl." Es war nur eine Ausrede, doch er würde Joran noch nichts sagen, sondern erst einmal abwarten.

Joran runzelte die Stirn. Sturmwind verweigerte ihm einen Kuss mit der Begründung, er fühle sich noch nicht richtig wohl? Er war sich sicher, dass dies nur eine Ausrede war. Warum aber? War irgendwas vorgefallen, was Joran nicht mitbekommen hatte? Er musste das klären und zwar auf der Stelle, damit nicht wieder eine Wand aus Zorn und Missverständnissen zwischen ihnen stand. "Was ist los, Sturmwind, warum bist du so grummelig? Du willst keinen Kuss von mir, mit der Ausrede, du seiest noch nicht wieder fit? Das glaube ich dir nicht. Du hast dich noch nie zu krank für einen Kuss gefühlt. Also, was bedrückt dich?" Joran versuchte ein warmes, aufmunterndes Lächeln, in der Hoffnung, dass es nicht allzu sehr misslang.

"Es ist nichts", antwortete Sturmwind und griff nach einem der Lederschläuche die noch neben ihm lagen. "Ich hab 'nen eigenartigen Geschmack im Mund und würde mich gern etwas frisch machen." Das ist ja nicht mal gelogen, resümierte der junge Elf im Kopf.
Sein Körper klebte, vom schweiß, den er beim Fieber ausgeschüttet hatte und der schale Geschmack kam sicherlich von dem Sud den Joran ihm zum Trinken gegeben hatte.

Er kannte Sturmwind nun schon lange genug, um zu wissen, dass der schale Geschmack nur ein Vorwand war. Vorsichtig drückte er Sturmwind wieder auf das Fell, stützte sich über ihm ab, so dass er ihm nicht entrinnen konnte und blickte ihm tief in die Augen. "Sturmwind, schwindle mich nicht an. Dich bedrückt doch was. Los, raus damit."

Sturmwind wich dem direkten Blick aus, sah zur Seite und presste die Lippen aufeinander. "Du hast gesagt, ich soll Frühstück machen", murmelte er leise.

"Hab ich das?", fragte Joran erstaunt. "Nein, natürlich sollst du kein Frühstück machen. Ich habe dir doch strenge Fellruhe verordnet." Joran erhob sich und begann mit den Vorbereitungen für das Frühstück. Indes grübelte er, was er wohl im Halbschlaf noch alles gesagt haben mochte, denn das auch das nur ein Vorwand war, war ihm klar.

Nachdenklich beobachtete Sturmwind Joran, der etwas zu Essen machte. "Du hast nicht mich gebeten", fuhr er fort, wobei sich sein Herz schmerzhaft zusammenzog.

"Wie, ich habe nicht dich gebeten? Wen denn sonst?" Jorans Verwirrung wuchs immer mehr. Er reichte Sturmwind eine Schale mit gekochten Früchten und einen Becher mit Weidenrinden-Sud.

"Du wolltest noch nicht aufstehen und lieber kuscheln mit Kalil." Sturmwind nahm die Schüssel nicht an. "Aber der bin ich nicht!", knurrte der junge Elf.

"Stimmt, du bist gewiss nicht Kalil. Dann müsstest du so einige Jahrzehnte älter sein und außerdem deine spitzen Ohren abschneiden", grinste Joran direkt vor Sturmwinds Gesicht und stahl ihm einen kleinen schnellen Kuss. "Ich habe anscheinend mal wieder geträumt."

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