IV SUCHE I "Von dieser Welt? Wie meinst du das?" fragte Leetah alarmiert. "Ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben soll." antwortete Silbermond. "Es war ein Gefühl, als ob mich das Dunkle in sich aufnehmen wollte. Auf der einen Seite wollte ich diesem Gefühl nachgeben. Es war nicht allzu unangenehm. Aber es wollte mich von euch nehmen. Ich bin ganz durcheinander." Silbermond blickte verwirrt von einem zum anderen. Sie fragte Sonnenstrahl:" Was hast du gesehen oder gespürt?" "Wie du schon sagtest, etwas Großes, Mächtiges, unsagbar Dunkles. Aber es war nicht böse. Also kann es nicht Winnowill gewesen sein." "Nein." ließ sich nun Langbogen vernehmen. Alle blickten ihn erstaunt an. Da er selten sprach, war seine Stimme rau und ungeübt. "Nein, Winnowill war es auf keinen Fall. Sonnenstrahl hat Recht. Diese Gedanken waren nicht böse. Aber sie waren auch nicht unbedingt freundlich." "Hattest du das Gefühl, dass die Gedanken bewusst nach dir gesucht haben, oder bist du eher durch Zufall auf sie gestoßen?" fragte nun Himmelweis Sonnenstrahl. "Ich weiß nicht." überlegte Sonnenstrahl. "Ich hatte fast das Gefühl, als ob mich diese Gedanken gerufen hätten." "Gerufen?" fragten Himmelweis, Schnitter, und Leetah wie aus einem Mund. "Ja, diesen Eindruck hatte ich auch." bestätigte Silbermond. "Es wird immer verwirrender. Ich kenne mich da bald nicht mehr aus." sagte sie. "Erst der Überfall auf unser Lager. Kein Zeichen von Silberbart und Mondkind. Meine Gedanken können sie nicht erreichen. Dann diese Träume, die mich zu Himmelweis geführt haben. Seine Träume, die irgendwie auf unseren Wald und auch auf mich hindeuten. Und nun das hier. Ich weiß wirklich nicht, was das alles zu bedeuten hat." "Vielleicht sollten wir alle erst einmal darüber schlafen." sagte Schnitter. "Mit solchen Grübeleien kommen wir nicht weiter. Morgen sieht alles bestimmt schon anders aus." *Schnitter hat Recht. Wir sollten in die Felle kriechen* sendete Langbogen.
Sehr nachdenklich gingen die sechs Elfen auseinander. "Glaubst du, Rayek steckt dahinter?" fragte Schnitter seine Gefährtin. "Nein, das denke ich nicht." antwortete sie. "Seine Macht ist zwar gewachsen, seit er den Palast beherrscht. Aber er hätte sich Sonnenstrahl zu erkennen gegeben. Rayeks Gedanken waren nie dunkel. Ihm dürfte auch dieses Mächtige fehlen, das Sonnenstrahl und Silbermond gespürt haben." "Bestimmt hast du Recht." stimmte Schnitter ihr zu. "Aber was war es dann?" "Langbogen hat Recht. Wir sollten wirklich erst mal darüber schlafen. Wenn Sonnenstrahl und Silbermond es sich zutrauen, könnten wir in einiger Zeit vielleicht einen weiteren Versuch unternehmen." sagte Leetah. "Ja. Ich mag gar nicht daran denken, was geschehen wäre, wenn Langbogen und du sie nicht unterstützt hättet. Ich hoffe nur, dass nicht doch Winnowill hinter der ganzen Sache steckt. Zuzutrauen wäre es ihr." antwortete Schnitter mit zusammengebissenen Zähnen. Sie waren in ihrem Nest angekommen und krochen nachdenklich in die Felle.
Auch Himmelweis und Silbermond hingen ihren Gedanken nach. Himmelweis dachte ähnlich wie Schnitter. Aber Silbermond kannte weder Winnowill noch Rayek und wusste auch nichts von deren Kräften und Absichten. Sie machte sich nur Sorgen um Silberbart. Ihre Unruhe war jetzt noch größer als vor diesem Versuch Kontakt aufzunehmen. Was war dieses Dunkle? Hatte diese Macht bewusst versucht, das Senden zu unterbinden oder war es nur ein Zufall? Aber warum hatte sie das Gefühl, dass diese dunklen Gedanken sie riefen? Statt Klarheit in ihre Gefühle zu bringen, hatte dieser Abend die Verwirrung nur noch gesteigert. Nachdenklich kroch auch sie unter die Felle und schmiegte sich an Himmelweis. Heute Nacht suchte sie ganz bewusst seine Nähe. Sie konnte es nicht ertragen, mit ihren Gedanken und Gefühlen allein zu sein. Himmelweis war etwas erstaunt darüber, denn die letzten Tage hatte Silbermond seine Zärtlichkeiten stets rüde zurückgewiesen. Doch nun liebte sie ihn mit einer Heftigkeit, als ob es das letzte Mal wäre. Nach einem wilden und leidenschaftlichen Kampf in den Fellen schliefen sie ein.
II
Als Himmelweis am nächsten Morgen erwachte, waren die Felle neben ihm leer. Er grinste beim Gedanken an die letzte Nacht. * Silbermond? Bist du schon am Bach oder noch im Lager?* Keine Antwort. Himmelweis runzelte die Stirn und sendete ein zweites Mal. * Silbermond, wo bist du?* Wieder keine Antwort! Was, bei Timmorns Blut, war geschehen? Hastig kletterte er aus dem Nest und den Baum runter. Unten stieß er mit Werfer zusammen. "Hat Silbermond dich rausgeschmissen?" fragte Werfer mit einem breiten Grinsen. "Zieh' dich erst mal richtig an. Deine Weste hängt hinten noch über den Gürtel." Himmelweis hörte gar nicht hin und zog sich im Laufen an. "Was ist denn in den gefahren?" fragte Baumstumpf hinter Werfer. "Ich weiß nicht. Er kam aus seinem Nest, als hätte Pickelnase ihn gebissen." "Hat er Streit mit Silbermond? Er war gestern Abend schon so komisch, nach dem missglückten Senden-Versuch." Werfer zuckte nur mit den Schultern und ging fort, um nach seinen Traumbeerbüschen zu sehen.
"Schnitter! Silbermond ist verschwunden!" rief Himmelweis schon von Weitem, als er den Anführer der Wolfsreiter am Rande der Lichtung stehen sah. "Mal langsam. Was ist mit Silbermond?" "Sie ist weg. Als ich aufwachte, waren ihre Felle leer. Ich habe gesendet, aber keine Antwort. Sie ist weg oder ihr ist etwas schreckliches passiert. Wir müssen sofort los und sie suchen." Himmelweis war völlig aus dem Häuschen. Schnitter legte ihm die Hände auf die Schultern und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen. *Fahr, beruhige dich. Ihr wird schon nichts passiert sein. Erstens ist sie eine erfahrene Jägerin und Kriegerin. Und zweitens werden wir erst mal sehen, ob Mondsänger auch weg ist.* "Ja schon, aber..." Himmelweis war viel zu aufgeregt um sich auf das Senden zu konzentrieren. *Nichts aber. Ruf' die Anderen zusammen, wir werden die Umgebung absuchen.* "Ja. Ja, du hast Recht." Kopflos stürzte Himmelweis davon um die anderen Elfen zu benachrichtigen. Eine kurze Zeitspanne später saßen alle auf den Wölfen und zogen in verschiedene Richtungen los, um nach Silbermond und Mondsänger zu suchen. Schnitter ritt mit Himmelweis. Er wusste, dass sein Freund, aufgelöst wie er war, momentan keinen klaren Gedanken fassen konnte und Silbermond wahrscheinlich nicht mal gefunden hätte, wenn er über sie gefallen wäre. *Ist gestern Abend noch etwas vorgefallen, Fahr? Etwas, das sie vielleicht verschreckt hat?* "Nein, eigentlich nicht." antwortete Himmelweis betrübt. *Was heißt, eigentlich nicht? Ist etwas vorgefallen, ja oder nein?* sendete Schnitter ungeduldig. "Nein. Nur das sie meine Nähe gesucht hat." antwortete Himmelweis verlegen. *Hat sie das sonst nicht getan?* fragte Schnitter mit einem anzüglichen Grinsen. "In den letzten Nächten nicht. Nach diesem missglückten Versuch war sie irgendwie ganz komisch und nun ist sie weg. Ich mache mir ernsthaft Sorgen." Die Elfen suchten vergeblich die Umgebung des Lagers ab und auch weiter weg war keine Spur von Silbermond und ihrem Wolf zu finden. Nicht einmal Rotspeer, der beste Fährtenleser des Stammes, konnte etwas finden. "Sie ist wie vom Erdboden verschluckt." sagte Himmelweis verzweifelt, als alle wieder im Lager waren. Leetah trat zu den versammelten Elfen. "Himmelweis?" "Ja?" "Während ihr gesucht habt, hat Sonnenstrahl versucht mit Silbermond Kontakt aufzunehmen. Sie sagt, sie müsse sich auf die Suche machen." erklärte Leetah. "Auf die Suche? Auf welche Suche?" fragte Himmelweis verdattert. "Das hat sie nicht gesendet." sagte Leetah. "Nur, sie sei bereits lange vor dem Morgengrauen losgezogen und du sollest dir keine Sorgen machen." "Keine Sorgen, keine Sorgen! Sie hat leicht reden. Selbstverständlich mache ich mir Sorgen. Man erkennt doch nicht jemanden, um sich anschließend keine Sorgen zu machen. Ich wusste schon, warum ich mich so lange gegen die Erkenntnis gewehrt habe. Sie bringt nur Scherereien." sagte Himmelweis verzweifelt. Ein Blick zu Schnitter zeigt ihm, dass er diese Anspielung verstand. "Ich muss hinter her, muss sie suchen." Schnitter wusste, es hatte keinen Zweck, seinen Freund davon abzubringen. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte er stur wie ein Troll sein. Also half er ihm bei den Vorbereitungen, damit wenigstens sichergestellt war, dass er in seiner kopflosen Sorge um Silbermond nicht noch die Hälfte vergaß. In Windeseile war alles zusammengerafft, Himmelweis saß auf Sternspringer und war bereit zum Aufbruch. Es bedurfter keiner Worte und keines Senden. Himmelweis winkte noch einmal zurück und ritt los. Nach Sonnenstrahls Worten war Silbermond wieder in Richtung Sonnenuntergang gezogen. In Richtung ihres alten Lagers. Hoffte sie dort Silberbart zu finden?
Schnitter und Leetah sahen Himmelweis nachdenklich nach. "Ich hätte ihn nicht alleine ziehen lassen sollen." grübelte Schnitter. "Er hat mich damals auch auf meiner Suche begleitet." "Das war etwas anderes." entgegnete Leetah. "Du hast nach anderen Elfen gesucht. Himmelweis aber sucht nicht nur nach seiner Gefährtin, sondern auch nach seinen Visionen." "Wie meinst du das?" "Silbermond wie auch Himmelweis haben beide Visionen gehabt. Ihre Erkenntnis war nur ein Nebeneffekt. Ich glaube, dass da mehr dahinter steckt. Auch dieses Dunkle, Mächtige, dass Sonnenstrahl und Silbermond gestern Abend gespürt haben, ist irgendwie ein Teil davon. Ich kann es nicht genau erklären. Es ist mehr so ein Gefühl. Du musst dir also keine Gedanken machen um Himmelweis. In spätestens zwei Tagen wird er Silbermond eingeholt haben und dann sind sie ja zu zweit. Ihnen wird nichts passieren." antwortete Leetah zuversichtlich und legte ihre Hand beruhigend auf Schnitters Arm. Tief in Gedanken versunken setzte sich Schnitter an einen Baum und rupfte einen Grashalm ab. Auf dem Halm kauend dachte er über Leetahs Worte nach.
III
Inzwischen war Himmelweis schon ein gutes Stück vorangekommen. Er trieb Sternspringer zu Höchstleistungen an. Ihm war aber auch klar, dass sein Wolf auf Dauer dieses Tempo nicht durchhalten konnte. Mit etwas Glück konnte er Silbermond am Abend oder in der Nacht eingeholt haben. Er hoffte darauf, dass sie Mondsänger nicht so antrieb wie er Sternspringer. Als die Sonne im Zenit stand musste Himmelweis einsehen, dass auch der ausdauerndste Wolf etwas Ruhe und Nahrung brauchte. Er selber hatte gar nicht die Geduld, um Wild für sich zu jagen, sondern begnügte sich mit einer Handvoll Beeren und Pilzen. Aber Sternspringer machte sich sofort auf, um zu jagen. Himmelweis wartete ungeduldig auf seine Rückkehr. So vollgefressen der Wolf auch war und sich nach Ruhe sehnte, so sehr spürte er auch die Unruhe Himmelweis', der begierig war, weiter zu ziehen. Aufmunternd stupste Sternspringer Himmelweis in die Seite und forderte ihn zum Aufbruch auf. Um seinen Wolfsfreund zu schonen, lief Himmelweis über eine weite Strecke neben ihm her.
Die Sonne hatte schon den Horizont berührt, als der mondhaarige Elf auf die ersten Wolfsspuren stieß. Er kniete neben den Eindrücken der Wolfspfoten nieder. Wie alt mochten sie sein? Himmelweis legte zitternd eine Hand auf die Spur und schloss die Augen. Ein Kribbeln lief durch seine Finger. Diese Spur war nicht älter als zwei Zeitspannen! Silbermond musste unmittelbar vor ihm sein! Himmelweis be-schleunigte seine Schritte. *Silbermond! Wo bist du?* sendete er immer wieder. Keine Antwort. Plötzlich stand ein nachtschwarzer Wolf knurrend vor ihnen. Mondsänger! Als er Himmelweis und Sternspringer erkannte, winselte er freudig und schlug wild mit der Rute. "Mondsänger, wo ist Silbermond?" fragte Himmelweis. Der Wolf drehte sich um und trabte voraus. Ungeduldig folgte der Elf mit Sternspringer dem schwarzen Schatten. Auf einer kleinen Lichtung brannte ein Feuer an dem eine zusammengekauerte Gestalt saß und in die Flammen starrte. "Silbermond?" sagte Himmelweis leise, um sie nicht zu erschrecken. Sie reagierte nicht. Himmelweis trat an sie heran und legte eine Hand auf ihren Unterarm. "Silbermond, hörst du mich?" Die Elfe zuckte zusammen und starrte ihn mit großen Augen an. "Himmelweis! Was machst du hier? Wo kommst du her?" fragte sie erstaunt. "Hast du mein Senden nicht empfangen?" fragte er zurück. "Ich habe meinen Geist abgeschirmt. Ich wollte mit niemanden senden. Am Wenigsten mit dir." Himmelweis setzte sich neben sie, vermied aber allzu große Nähe. "Warum nicht? Habe ich etwas falsch gemacht?" fragte Himmelweis verzweifelt. "Nein, aber wenn ich dir gesagt hätte, dass ich auf die Suche gehen will, hättest du darauf bestanden, mich zu begleiten. Und das wollte ich vermeiden." "Aber warum?" Himmelweis' Verwirrung wurde immer größer. "Das ist meine Suche. Ich wollte dich da nicht mit hineinziehen." "Mit hineinziehen? Worein wolltest du mich nicht ziehen? Ich verstehe überhaupt nichts mehr." "In meine Suche nach Silberbart und dieser dunklen Macht." "Du glaubst, dass das beides zusammenhängt?" "Sicher. Wenn ich drüber nachdenke, war da immer etwas Dunkles, wenn ich nach Silberbart gesucht habe. Seit das Lager überfallen wurde. Als wenn etwas mich von ihm fernhalten will. "Aber warum?" "Das weiß ich ja eben nicht. Darum muss ich entweder Silberbart oder diese dunkle Macht finden, um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen." Beide schwiegen eine Zeit lang bis Himmelweis sagte: "Lass uns schlafen gehen." Silbermond nickte nur.
Im Morgengrauen zogen sie schweigsam weiter. Silbermond brütete vor sich hin. Himmelweis drang nicht weiter in sie und ließ sie mit ihren Überlegungen in Ruhe. Aber er beobachtete sie stumm von der Seite. Und was er da sah gefiel ihm ganz und gar nicht. Silbermond sank immer mehr in sich zusammen. Wenn sie rasteten rührte sie kaum die Nahrung an, die Himmelweis mit den Wölfen jagte. Eines Abends am Feuer sagte Himmelweis: "Silbermond, so kann es doch nicht weitergehen. Du isst kaum etwas und grübelst ständig vor dich hin. Wenn wir wirklich auf Silberbart oder diese dunkle Macht stoßen, musst du im Vollbesitz deiner Kräfte sein. Was soll denn Silberbart sagen, wenn er nur einem Schatten deiner Selbst gegenüber steht. Und wenn diese dunkle Macht doch weniger freundlich ist, als wir vermuten und es zu einem Kampf kommen sollte, dann kann ich wohl kaum mit dir rechnen." Silbermond sah ihn betrübt an. "Ja, vielleicht hast du Recht." sagte sie und begann zaghaft an der Rehkeule zu knabbern, die Himmelweis ihr hinhielt. Von nun an bestand Himmelweis darauf, dass sie zuerst ausgiebig aß, bevor sie sich am Abend zur Ruhe legen durfte. Auf Grund seiner fürsorglichen Pflege, kam Silbermond langsam wieder zu Kräften und auch ihr Gesicht bekam wieder Farbe. Das vernachlässigte Kampftraining wurde wieder aufgenommen und Himmelweis war jedes Mal wieder erstaunt, mit welcher Geschicklichkeit Silbermond ihr Schwert und auch den Dolch handhabte.
IV
Eines Abends, die Sonne war eben hinter dem Horizont verschwunden, erreichten die beiden Elfen den Rand eines Waldes. "Das ist unser Wald." sagte Silbermond mit Wehmut in der Stimme. "Siehst du da hinten den Berg? Das ist der Mondfels." "Lass uns hier rasten." sagte Himmelweis. "Und morgen suchen wir euer altes Lager auf. Vielleicht sind ja einige deiner Stammesbrüder zurückgekehrt." "Ja, vielleicht hast du Recht." In dieser Nacht kehrten die Träume zurück. Silbermond träumte nicht nur von Himmelweis sondern auch von Silberbart und Mondkind. Sie träumte von einem wild wuchernden Wald mit einem silbernen Berg in der Mitte. Und auch die rufende Macht war wieder da. Lange vor Sonnenaufgang erwachte sie und sah, dass auch Himmelweis nicht mehr schlief. Er sah sie an und sagte: "Ich habe wieder geträumt." "Du auch?" "Ja. Von einem Wald, der üppiger war, als jeder andere den ich je gesehen habe. In der Mitte war ein silberner Berg. Ist der Mondfels silbern?" "Nein, nur wenn die Monde ihn bescheinen. Dann wirkt er fast, als wenn er aus Silber wäre. Aber es ist seltsam. Ich habe genau das gleiche geträumt." antwortete Silbermond. "Lass uns weiterziehen und unser altes Lager suchen." So zogen sie los in Richtung auf den Mondfels zu. Silbermond versuchte ständig Kontakt mit Silberbart oder jemanden aus ihrem Stamm aufzunehmen. Vergeblich. In der Mitte des zweiten Tages erreichten sie eine Lichtung. *Wir sollten vorsichtig sein.* sendete Silbermond. *Vielleicht treiben sich ja noch die Fünffinger hier rum.* *Meinst du? Nach so langer Zeit?* fragte Himmelweis. *Denen traue ich alles zu. Mondsänger, spürst du etwas ?* *Was soll denn Mondsänger spüren?* *Er hat ein feines Gespür für unmittelbare Gefahr. Damit hat er uns oft vor drohendem Unheil gewarnt.* entgegnete Silbermond. Sie sah ihren Wolf an, der jedoch den Kopf schüttelte. *Scheint alles in Ordnung zu sein. Dann lass uns gehen.* Die Elfen traten mit gezogenen Waffen auf die Lichtung hinaus und sahen sich um. *Es sieht noch immer so aus wie unmittelbar nach dem Überfall. Sogar die Oppot-Spuren sind noch da.* sendete Silbermond und zeigte auf die Abdrücke im Boden. "Bei Timmorns Blut! Die Menschen haben hier ja schlimmer gewütet als die Eis-Trolle." flüsterte Himmelweis. "Aber so wie es aussieht, hat hier seit dem Überfall keiner mehr gelebt." "Ja, es ist alles so, wie ich es verlassen habe." antwortete Silbermond traurig. "Lass uns auf den Mondfels steigen. Von dort oben haben wir einen guten Überblick über die Umgebung. Vielleicht können wir etwas ausmachen." Als sie oben angekommen waren, blickten sie lange suchend in alle Richtungen. Aber außer dem Grün der Bäume in unmittelbarer Nähe und dem Gelbbraun des brennend-leeren Landes in der Ferne, war nichts zu sehen. Rein gar nichts deutete daraus hin, dass in diesem Wald noch Elfen lebten. Enttäuscht kehrte Silbermond in das verlassene Lager zurück. Missmutig entzündete sie ein Feuer und errichtete das Nachtlager. "Silbermond." sagte Himmelweis geduldig. "Wir werden den Wald systematisch absuchen. Wenn auch nur ein Elf noch in diesem Wald ist, so werden wir ihn finden." Nach einer ausgiebigen Mahlzeit legten sie sich zur Ruhe.
Auch in dieser Nacht kamen die Träume. Und in jeder der folgenden Nächte. Immer wieder derselbe Traum. Der üppige Wald, Silberbart und die rufende Macht. Tagsüber durchstreiften sie den Wald auf der Suche nach Silbermonds Stamm, jedoch ohne Erfolg. Eines Abends sagte Himmelweis: "Wir haben diesen Wald gründlicher nach Elfen durchsucht als ein Wolfsfell nach Flöhen. Außer uns beiden gibt es hier keine Elfen. Wenn die Menschen sie nicht als Gefangene weggeschleppt haben, dann sind sie sicherlich woanders hingezogen." "Aber wohin?" fragte Silbermond. "In welcher Richtung sollen wir suchen?" "Ich weiß es nicht." antwortete Himmelweis. "In Richtung des Sonnenaufgangs können sie nicht gezogen sein." sagte Silbermond. "Dann wären wir ihnen begegnet. Also bleibt nur noch die Richtung des Sonnenuntergangs. In Richtung Mittag liegt das brennend-leere Land. Das habe sie mit Sicherheit nicht durchquert. Und in die Richtung, in der die Sonne nie zu sehen ist, werden sie auch nicht gezogen sein, denn da beginnt ein undurchdringlicher Sumpf." "Dann sollten wir morgen dem Sonnenuntergang folgen." entschied Himmelweis. Plötzlich erklang ein Donnerschlag, als ob der Mondfels explodieren würde. Himmelweis und Silbermond blickten gleichzeitig zum Himmel. In diesem Moment brach ein gewaltiger Gewitterregen los. "Zur Höhle im Mondfels!" rief Silbermond und rannte los. Himmelweis und die Wölfe folgten ihr auf dem Fuße. Innerhalb kürzester Zeit waren die Elfen nass bis auf die Knochen. "Bei Pickelnases Warzen, ist das ein ekeliges Wetter." schimpfte Himmelweis. "Lass uns lieber ein Feuer machen und unsere Sachen trocknen." entgegnete Silbermond und begann trockenes Feuerholz aufzuschichten. Bald prasselte ein wärmendes Feuer in der Höhle. Silbermond zog ihre nassen Klamotten aus. "Willst du in deinen nassen Sachen übernachten oder bis du plötzlich schamhaft geworden?" frotzelte sie. "Klar, ich schäme mich, mich in deiner Gegenwart auszuziehen. Du weißt doch, ich bin in Gegenwart weiblicher Elfen immer schüchtern." grinste Himmelweis und zog sich aus. "Ein bisschen frisch, so ohne Kleidung." bemerkte Silbermond fröstelnd. "Dann komm her, ich wärme dich." bot ihr Himmelweis an. "Das hättest du wohl gern, was?" "Klar." Silbermond kramte in ihrem Bündel herum und zog ihren Umhang hervor. "Ich denke, er reicht für uns beide, wenn wir zusammenrücken." sagte sie und breitete den Umhang über sie beide. Himmelweis rückte näher an sie ran und legte seinen Arm um ihre Schulter. Silbermond legte ihren Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. "Wie wird es weitergehen, wenn wir Silberbart wirklich finden?" fragte er. "Das werden wir sehen, wenn es soweit ist. Ich leben im Jetzt und nicht im Morgen." antwortete Silbermond. Himmelweis ließ seine Hand auf ihren Rücken auf Wanderschaft gehen. Mit einem Seufzer ließ sie sich nach hinten sinken. Himmelweis zog den Umhang über sie und küsste sie. Silbermond ließ nun ihrerseits ihre Hände auf Entdeckungsreise gehen und Himmelweis überließ sich ihrer Initiative, während vor der Höhle das Unwetter tobte.
V
Der Himmel ließ bis in den frühen Morgen den Elementen freien Lauf. Blitz folgte auf Blitz, Donnerschlag auf Donnerschlag. Der Regen ergoss sich in solchen Mengen, als wollten die Naturgewalten die Welt der zwei Monde in ein unendliches Meer verwandeln. Doch dann kämpfte sich eine bleiche Sonne ihren Weg durch die Wolken und beschien eine bizarre Szenerie. Sämtliche Hütten des ehemaligen Elfen-Lagers waren zusammengebrochen und die Überreste weggeschwemmt. Auch dieOppot-Spuren und das Lagerfeuer, welches Silbermond und Himmelweis am Abend entzündet hatten, waren verschwunden. Es schien, als ob eine höhere Macht alle Spuren elfischen Lebens beseitigen wollte. Auch Silbermond empfand es so. "Nun hält mich hier nichts mehr." sagte sie zu Himmelweis. "Lass uns aufbrechen." Sie zogen los, dem Sonnenuntergang entgegen. "Was ist hinter diesem Wald?" fragte Himmelweis. "Eine weite Ebene mit einzelnen Baumgruppen und kleinen Wäldern. Ich habe sie nie erkundet." Schweigend ritten sie weiter. Die Monotonie der Reise wurde nur unterbrochen von Jagd und Nachtlager. Nach einem halben Mondzyklus erreichten sie das Ende des Waldes. Vor ihnen fiel das Gelände sanft ab und endete in einer weiten Ebene. "Nun kommt für uns beide unbekanntes Gelände." sagte Silbermond. "Dann lass uns das Abenteuer angehen." erwiderte Himmelweis. |